Ein militärischer Konflikt um die Ukraine würde das gesamte Friedensprojekt der Europäischen Union gefährden.
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Nicht nur auf militärischer, sondern vor allem auf diplomatischer Ebene ist der Konflikt mit Russland nach den Ausschreitungen in der Ostukraine eskaliert. Neben den USA übte sich auch Tschechien in einer noch nie dagewesenen Kampfrhetorik, als Präsident Milos Zeman plötzlich einen Nato-Angriff ins Auge fasste. Dass ein derart aggressiver Umgangston mit Russland Europa maßgeblich schaden könnte, musste sogar der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder zugeben.
Nun soll eine in Genf einberufene Konferenz, an der die USA, die EU, Russland und die Ukraine teilnehmen, die brisante Situation auf diplomatischem Weg entschärfen. Ob der Westen und Russland darin von ihren jeweiligen Standpunkten abweichen werden, bleibt jedoch äußerst fraglich.
Die abgehörten Telefongespräche der früheren Nato-Botschafterin Victoria Nuland, der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, und der oppositionellen ukrainischen "Gasprinzessin" Julia Timoschenko haben erheblich dazu beigetragen, dass die Gesprächsbereitschaft zwischen dem Westen und Russlands Präsident Wladimir Putin auf Eis liegt.
Statt eines Dialogs einigten sich die europäischen Außenminister auf Wirtschaftssanktionen, die langfristig gesehen der europäischen und insbesondere auch der österreichischen Konjunktur weit mehr schaden werden als Russland. Dass eine Verwicklung Europas in einen militärischen Konflikt in der Ukraine das gesamte Friedensprojekt der Europäischen Union gefährden würde, will man weder in Brüssel noch in Washington wahrhaben. Bisher schreckte US-Präsident Barack Obama nicht davor zurück, es sich mit Putin ein für alle Mal zu verscherzen, indem er ankündigte, dass "jegliche militärische Intervention in der Ukraine" ihren Preis haben werde.
Man fragt sich mit Recht, welcher Preis das sein wird, wo doch die USA bisher in ihrem aussichtslosen "Krieg gegen den Terror" auf militärischer und ideologischer Ebene auf die ungebrochene Unterstützung Russlands zählen konnten. Sei es in Syrien, im Iran, in Zentralasien oder im Umgang mit der aufsteigenden Großmacht China - ohne Russland werden die USA nicht weit kommen. Dies sollte sich auch Europa als engster Verbündeter der Amerikaner immer vor Augen halten.
Hinzu kommt, dass Russland zu den Veto-Mächten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gehört und somit jede Entscheidung in Zukunft blockieren kann, falls die Konferenz zu keinem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis führen sollte.
Europa befindet sich - wie zur Zeit des Kalten Krieges - in einem geopolitischen Dilemma. Mit der Verfestigung der EU und dem Erweiterungsdrang nach Osten hatte man sich bisher als "soft power" sicher gefühlt. Die Krim-Krise zeigt uns, dass sich die EU als "hard power" nur auf die USA und die Nato verlassen oder den diplomatischen Weg gehen kann.
Die Verhandlungen in Genf werden nun zeigen, wie kompromissbereit beide Parteien sein wollen. Von den angriffslustigen Reden mancher westlicher Diplomaten wird sich Russlands Präsident Putin aber sicherlich nicht beeindrucken lassen.
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.