Der Wiener Iran-Deal eröffnet die Chance auf einen völlig neuen Ansatz für die Politik im Nahen Osten und in der Golfregion.
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US-Präsident Barack Obama spricht von einem "Meilenstein", in Teheran feierten die Menschen auf den Straßen. Das Iran-Abkommen ist eine diplomatische Leistung von historischen Ausmaßen - errungen in Wien 200 Jahre nach dem Ende des Wiener Kongresses. Dennoch hagelt es Kritik: von konservativen Kreisen in Washington, von Israel, von den sunnitischen Golfstaaten.
Das Ziel des Abkommens war die Verhinderung einer iranischen Nuklearstreitmacht. Im Gegenzug wollte Teheran ein Ende der Sanktionen. Es ging aber gleichzeitig um nichts weniger als um die Normalisierung der seit mehr als 35 Jahren vergifteten Beziehungen zwischen dem Iran und den USA. Eine Ära, die mit dem Sturz des Schahs und der Besetzung der US-Botschaft in Teheran durch iranische Eiferer samt einer 444 Tage lang währenden Geiselnahme von 52 US-Diplomaten begann, geht nun zu Ende.
Der Iran ist eine bedeutende Regionalmacht: Das Land liegt an der Schnittstelle zwischen Nahost, Zentralasien, Westasien und dem Kaukasus und verfügt über die größten Erdgasreserven der Welt und über bedeutende Erdölreserven. Noch wichtiger ist aber das Humankapital der knapp 78 Millionen Einwohner. Die wachsende Mittelschicht ein attraktiver Absatzmarkt für westliche Anbieter und wird Iran zu einem wesentlichen Akteur machen.
Der menschliche Faktor - vor allem die persönliche Leistung des iranischen Außenministers Javad Zarif und seines US-Gegenübers John Kerry - spielte für das Zustandekommen des Abkommens eine bedeutsame Rolle. Ein herausragender Beweis der Lösungskapazität von Diplomatie. Interessant war dabei übrigens, wie beide Seiten Social Media effektiv eingesetzt haben, um Störfaktionen von außen konsequent zu neutralisieren.
Wäre es ohne den Druck der Sanktionen gegen Teheran zum Deal gekommen? Eher nein. Aber schließlich wollten wohl alle Verhandlungspartner ein Ende der Maßnahmen. Was bedeutet das Wiener Nuklearabkommen? Der Iran kehrt in die Staatengemeinschaft zurück. Dies wird zu einer fundamentalen geopolitischen Gewichtsverlagerung in Nahost und darüberhinaus führen. Die USA, EU und Russland hoffen auf eine Intensivierung im Kampf gegen den IS. Für die konfliktreiche Region des schiitischen Halbmonds gibt es eine Chance auf mehr Stabilität. Noch dominiert Misstrauen zwischen den USA und dem Iran, Washington setzt weiter auf seine Beziehungen zu den sunnitischen Golfstaaten und der Türkei. Doch eine neue Balance ist nun denkbar - unter anderem auch Kooperationen zwischen Israel und Saudi-Arabien. Viele arabische Staaten werden wohl auch stärker mit Russland und China kooperieren. Eine gesteigerte iranische Öl- und Gasproduktion wird die Weltmarktpreise - ohnehin durch das US-Fracking unter Druck - weiter senken. Was wiederum die Rivalitäten in der Region anheizen könnte. Wie werden diese Rivalitäten eingehegt, wenn die USA sich mehr und mehr aus der Region zurückziehen? Fazit: Das Wiener Nuklearabkommen ist mehr als "nur" ein Atomabkommen. Es wird kurzfristig nicht notwendigerweise mehr Stabilität bringen, eröffnet aber eine Chance für einen neuen Ansatz in Nahost und bringt in jedem Fall wirtschaftlichen Aufwind.