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Direkte Demokratie: Üben, üben, üben

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Überall wird das Volk befragt - oder es meldet sich spontan selber. | Die politischen Mixturen sind dabei freilich sehr unterschiedlich.


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Die Italiener möchten mit den Atomkraftwerken offenbar auch ihren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi loswerden, wie die Volksabstimmung am Wochenende zeigte. Die Baden-Württemberger haben sich ganz traditionell auf dem Gleis des Wahlrechts ihrer CDU-Landesregierung entledigt und einen grünen Ministerpräsidenten bekommen, müssen aber dennoch im Herbst volksabstimmend nachbessern. Der Stein des Anstoßes, das etwas groß geratene Bahnhofprojekt "Stuttgart 21", geht nämlich trotz grün-roter Obrigkeit in die Realisierungsphase.

Direkte Demokratie manifestiert sich in den Kraftzentren Volksbefragung, Volksbegehren und Volksabstimmung und hat auch irreguläre Ausläufer, wenn Menschenmengen die Eigeninitiative ergreifen und - wie in Spanien geschehen - einen Widerstand empörter "Indignados" ausrufen.

In Österreich würde man sie neuerdings Wutbürger nennen, wobei allerdings auffällt, dass hierzulande die direkte Demokratie, ob in legaler Form oder in ihren unkalkulierbaren Ausfransungen, ihre große Geschichte offenbar schon hinter sich hat. Die Au-Besetzung, das knappe Nein zum Atomkraftwerk Zwentendorf und das überwältigende Ja zur EU waren historische Weichenstellungen. Seither wird mit dem Volkswillen eher gepokert, was den Niveauverlust im Demokratieverständnis enthüllt.

Die Politiker verschanzen sich mit weichen Knien hinter dem Volkswillen, um ihre Pläne absegnen zu lassen, oder machen bloß Opposition. Dazu sind sie aber nicht gewählt, vielmehr hätten sie die Aufgabe, nach den Regeln der repräsentativen Demokratie politische Entscheidungen zu treffen und beispielsweise das Bundesheer zu reformieren.

Die Kärntner Freiheitlichen veranstalten über den Ortstafelkompromiss eine Volksbefragung, die entweder unnötig oder aber gefährlich ist. Unnötig dann, wenn tatsächlich eine lockere Mehrheit für zweisprachige Ortstafeln zustande kommt, wie sich das der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler ausrechnet. Gefährlich allerdings, wenn Dörflers Kalkulation falsch ist und am morgigen Freitag ein mickriges Ja oder gar ein Nein zur Zweisprachigkeit festgestellt wird. Dann steht das ganze Land wieder

blamiert da und fällt in einen Zustand zurück, der auf mangelnde Zivilisa-

tionstauglichkeit der regionalen Sprachmehrheit hindeutet.

Dass die Schweiz aus Gründen der direkten Demokratie nicht fähig war, der EU beizutreten, wirkt von außen betrachtet merkwürdig, aber von außen soll niemand dreinreden. Stattdessen werden die Eidgenossen irgendwann die fünf Atomkraftwerke verabschieden. Spätestens seit Fukushima ist das eine verständliche Reaktion aller, die mitangesehen haben, wie große Bevölkerungsteile zu Geiseln unkontrol-

lierbarer Katastrophen werden, ohne dass ihnen irgendein Politiker Hilfe leisten könnte.

Warum in Stuttgart der Umbau des veralteten Kopfbahnhofes in einen zeitgemäßen Durchgangsbahnhof zur Riesensache aufgebauscht wird, während wir Österreicher das Skylink, sofern es jemals fertig wird, noch immer geduldig ertragen, gehört zu den Geheimnissen des Bürgerwillens.

Der Reiz des Bürgerengagements besteht darin, den Politikern unangenehme Überraschungen zu bereiten. Bis die europäischen Völker dabei den richtigen Dreh herausbekommen, werden sie freilich noch viel üben müssen.

Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist bei "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".