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Direkte EU-Demokratie muss warten

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Streit um Bedingungen und Verbindlichkeit. | Zahnlose Initiative? | Brüssel. Das EU-Volksbegehren im Lissabonner Vertrag sollte die Union demokratischer machen. "Eine komplett neue Dimension direkter Demokratie, einzigartig in der Geschichte der EU", sagte der zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic unlängst - "vergleichbar mit dem indirekten Initiativrecht des EU-Parlaments."


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Doch die Umsetzung der neuen Idee lässt auf sich warten. Wohl nicht vor Jahresende könne es verwirklicht werden, hieß es in Kommissionskreisen. Ein konkreter Gesetzesvorschlag sei für Ende April geplant. An den Plan des derzeitigen Vorsitzlandes Spanien, noch im Juni eine Einigung zu erzielen, glaubt kaum noch jemand. Wenig Verständnis dafür gibt es im EU-Parlament.

Denn wie stark das EU-Volksbegehren am Ende tatsächlich ist, hängt von der konkreten Ausformung und Verbindlichkeit ab. Zahlreiche Grundsatz- und Detailfragen sind noch offen: Eine Million EU-Bürger aus einer signifikanten Anzahl von Mitgliedsländern soll die Kommission auffordern können, ein Anliegen zu berücksichtigen, heißt es in der neuen EU-Rechtsgrundlage.

Modalitäten sindnoch nicht geklärt

Doch wie viele Länder müssen vertreten sein? Wie viele Bürger müssen unterschreiben, dass ein Staat gezählt wird? Auf welche Art und Weise muss die Kommission reagieren? In den Mitgliedstaaten werden nationale Volksbegehren völlig unterschiedlich gehandhabt. Schon die Prüfung der Zulässigkeit erledigen etwa die Österreicher, Luxemburger, Spanier und andere vorab, die Portugiesen und Tschechen erst hinterher.

Grundkonsens dürfte es immerhin schon darüber geben, dass die Mindestzahl der Unterschriften in den Mitgliedstaaten bei 0,2 Prozent der Bevölkerung liegen soll. Das ist in vielen Ländern deutlich unter den Anforderungen für nationale Volksbegehren - in Österreich liegt die Schwelle derzeit bei 1,2 Prozent oder 100.000 Teilnehmern, in Lettland gar bei zehn Prozent. Doch damit endet die Einigkeit: Österreich findet etwa, dass die EU-Kommission auf ein zulässiges und erfolgreiches EU-Volksbegehren innerhalb von neun Monaten einen Gesetzesvorschlag machen müsste. Die Brüsseler Behörde verkrampft es bei diesem Standpunkt - damit wäre das Begehren ein schärferes Schwert als das indirekte Initiativrecht des EU-Parlaments, auf dessen Antrag die Kommission innerhalb eines Jahres entsprechend reagieren muss.

Verzögerung ist"absolut enttäuschend"

Die Vorgaben für das EU-Volksbegehren müssten "positiv und flexibel ausgelegt" werden, sagte Hannes Swoboda zur "Wiener Zeitung". Die Verzögerung findet der Vizefraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament "absolut enttäuschend." Die Kommission habe schließlich genug Zeit gehabt, ihren Vorschlag vorzubereiten.

Eine klare Absage erteilte Swoboda dem Ansinnen der Kommission und vieler Mitgliedsländer, dass die Schwelle für die Gültigkeit des Begehrens in mindestens einem Drittel der 27 EU-Staaten - also derzeit neun - überschritten werden muss. Das EU-Parlament hat für ein Viertel der Länder, also sechs oder sieben, plädiert. Österreich verlangte in einer Stellungnahme sechs - ansonsten könnten für das Land so wichtige Fragen wie der Lkw-Transit über die Alpen niemals Gegenstand eines Bürgerbegehrens werden, was "politisch völlig unakzeptabel" sei.

Es müsse schon sichergestellt sein, dass nicht bloß eine regionale Initiative hochstilisiert werde, so Swoboda. Doch dafür reiche ein Viertel. Zwar sei zu befürchten, dass "populistische Dinge und eher Anti-EU- als Pro-EU-Themen kommen werden." Doch das sei dann eben ein Signal, dass die EU besser vermittelt werden müsse. Das könne nur in der politischen Diskussion und nicht durch ausschließende Regeln beim EU-Volksbegehren erzielt werden.

Die Grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek plädierte mit einem Fünftel der Mitgliedstaaten für eine noch niedrigere Schwelle für die Gültigkeit der Begehren. Die Zulässigkeit der Themen müsse sehr wohl vorab von der EU-Kommission geprüft werden, so Lunacek: "Keine Minarette mehr oder alle Ausländer raus geht nicht". Die Kommission ziert sich allerdings noch und will nur jene Volksbegehren im Nachhinein prüfen, die ausreichend Unterschriften erhalten haben.