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Direkter, digitaler, transnationaler

Von Walter Hämmerle

Politik

"Strukturen unserer Demokratie haben sich überlebt." | Mehr Mitbestimmung als Rezept gegen Wählerfrust.


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"Wiener Zeitung": Die repräsentative Demokratie erlebt in vielen westlichen Staaten eine Vertrauenskrise. Die Politik blockiert sich zunehmend selbst, Bürger kehren etablierten Parteien den Rücken zu, wählen populistische Kräfte...

Bruno Kaufmann: Die gute Nachricht ist, dass das Prinzip der Demokratie noch nie so unumstritten war wie heute. Allerdings müssen wir die Strukturen der repräsentativen Demokratie reformieren: Diese stammen aus längst vergangenen Zeiten; die Rolle der Parteien muss sich ändern; und schließlich hat sich auch der Nationalstaat als ausschließlicher Bezugspunkt politischer Entscheidungen überlebt.

Welche Folgen haben diese Veränderungen für die Form von Demokratie?

Wir müssen die Möglichkeiten direkter Mitbestimmung stärken. Die Bürger interessieren sich für Sachthemen, der Staat ist nur noch eine Gemeinschaft unter anderen, daneben gibt es lokale, regionale und vor allem transnationale Ebenen. Hinzu kommt, dass neue Technologien wie das Internet völlig neue Möglichkeiten der Partizipation eröffnen. Kurz gesagt: Die Demokratie muss direkter, digitaler und transnationaler werden.

Für Kritiker sind direktdemokratische Entscheidungen anfälliger für Manipulation, es drohe die Ochlokratie, die Herrschaft des Pöbels. Zudem hat sich in Österreich gezeigt, dass solche Instrumente von Parteien instrumentalisiert werden.

Auch bei der direkten Demokratie kommt es auf das Wie an. Bestes negatives Beispiel ist wohl Kalifornien, wo es durch die Möglichkeit direktdemokratischer Initiativen plötzlich zwei Gesetzgeber gibt, die nicht einmal miteinander reden müssen. Es können völlig gegensätzliche Gesetze beschlossen werden. Direkte Demokratie ist in Kalifornien zum knallharten Machtinstrument verkommen. Österreich ist ein weiteres Beispiel dafür, dass eigentlich gute Dinge nicht gut genug umgesetzt werden. Die Schweiz ist ein positives Modell.

Aber auch hier beteiligen sich selten mehr als 25 Prozent der Bürger an Referenden - auf Dauer verkommt so Demokratie zur Angelegenheit für Minderheiten.

25 Prozent sind immer noch deutlich besser als die geschätzten 0,5 Prozent, die in repräsentativen Demokratien entscheiden, wenn nur die Parteien und ihre Netzwerke die Zügel in Händen halten. Aber natürlich bedroht eine geringe Beteiligung die Legitimität der Demokratie. Hier spielt sicher die Krise unserer nationalen Steuerungsmechanismen angesichts transnationaler Entwicklungen eine Rolle; umso wichtiger ist es, dass die etwa die Europäische Union demokratischer wird. Die ab April 2012 in Kraft tretende Möglichkeit einer Europäischen Bürgerinitiative mag nur ein schwaches Instrument sein, historisch ist sie eine einzigartige Entwicklung.

Sind diese Hoffnungen auf eine Demokratisierung Europas nicht naiv, wenn man bedenkt, dass sämtliche Grundsatzentscheidungen der EU-Regierungen zur Euro-Rettung ohne Befassung von Bürgern und Parlamenten getroffen wurden?

Das ist die Konsequenz der jahrzehntelangen Entwicklung der EU als bürokratisch-technokratischer Komplex. Mittlerweile ist die EU aber ein Gebilde aus 27 Staaten mit 500 Millionen Einwohnern - dass ganz wenige über sehr viele entscheiden, wird künftig immer weniger akzeptiert werden. Dazu gibt es auch erste Schritte, etwa die Stärkung des Parlaments und eben die Möglichkeit von Bürgerinitiativen. Der Lissaboner Vertrag stellt sicherlich nur ein erstes Minimum dar, aber immerhin sind dabei auch die Bürger berücksichtigt.

Kann ein Gebilde zu groß und zu komplex für die Demokratie sein?

Nicht prinzipiell, aber je größer und komplexer ein Gebilde ist, desto größer sind die Anforderungen an die Ausgestaltung der demokratischen Möglichkeiten. Auch Demokratien müssen sich ständig weiterentwickeln.

Sie fordern mehr Macht für die Bürger, aber werden die Parteien dies akzeptieren?

Die Parteien sind - wegen ihre Bedeutung für Entscheidungen und Karrieren - in eine Rolle hineingewachsen, die der Demokratie nicht mehr gut tut. Die Tragik ist, dass es heute die Parteien sind, die einen viel zu kurzfristigen Horizont haben, weil sie an die nächsten Wahlen denken. Dabei sollte doch genau das durch die repräsentative Demokratie verhindert werden. Die Parteien müssen sich neu erfinden, die Zeit geschlossener Machtzirkel ist vorbei, aber Parteien werden eine wichtige Funktion als Kontrollore und Begleiter direktdemokratischer Entscheidungen behalten.

Sie setzen große Hoffnungen in die digitale Demokratie. In Österreich überwiegt dagegen die Angst vor deren Tücken, etwa dem Verlust des Wahlgeheimnisses.

Die neuen Technologien sind ein Instrument zur qualitativen Weiterentwicklung von Demokratie, keine neue Qualität an sich. Heute ist es anachronistisch, wenn Mitbestimmung nur auf dem Papier stattfinden kann, zudem ermöglicht das Internet transnationale Vernetzung, Mitwirkung wird ortsungebunden. Wir müssen noch den Umgang mit diesen neuen Möglichkeiten lernen, aber in 10, 20 Jahren wird das Internet für die Demokratie enorm an Bedeutung gewonnen haben.

Bruno Kaufmann, geboren 1965, ist schweizerisch-schwedischer Journalist und Politikwissenschafter. Präsident des transnationalen Thinktanks "Initiative and Referendum Institute Europe" in Marburg. Am Freitag hält Kaufmann ein Impulsreferat bei der Konferenz "Zukunft der Demokratie in Österreich" im Wiener Juridicum.