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Diskriminierung als tägliche Praxis

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

"Kann schon sein, dass Angehörige der Roma und Sinti in Ungarn krimineller sind als die übrige Bevölkerung - die geltenden Gesetze drücken schließlich die Kultur der Bevölkerungsmehrheit aus." Istvan Szikinger ist Anwalt in Budapest, seine Klientel besteht vor allem aus "Zigeunern".


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Dass manche Gefängnisse in Ungarn zu 50 Prozent mit Roma belegt sind, obwohl diese nur fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, hat aber noch andere Gründe. Szikinger dazu im Kreisky-Forum: "Die U-Haft wird im Zweifelsfall eher über einen Roma verhängt, als über einen Ungarn".

Die Marginalisierung von Sinti und Roma ist in ganz Europa Realität. Das kann auch Dimitrina Petrova, Geschäftsführerin des "European Roma Rights Center", aus ihrer täglichen Arbeit bestätigen: Misshandlungen durch Polizeikräfte, Skinheads oder selbst ernannte "Bürgerwehren" seien dabei nur die Spitze des Eisberges, so Petrova. Diskriminierung von "Zigeunern" wirke vielmehr als unreflektierter Bestandteil der täglichen Normalität und funktioniere auf einer indirekten Ebene: "nicht systematisch, aber systemisch". So würden in manchen Teilen der Tschechischen Republik 50 Prozent der Roma - Kinder in die Sonderschule abgeschoben. Dieses Faktum werde entweder ignoriert - nach Petrova noch die mildeste Stufe des Rassismus - oder aber uminterpretiert: Das Vorurteil vom "faulen, diebischen und anpassungsunwilligen Zigeuner" biete da bequeme Rechtfertigung. Dabei ist "Antiziganismus" nicht etwa ein Phänomen, das auf besonders rückständige Regionen in der Ostslowakei oder Ungarn beschränkt wäre: Die Situation der Roma und Sinti im EU-Staat Griechenland etwa schätzt Petrova als "außerordentlich schlecht" ein. Auch das EU-Gründungsmitglied Italien würde sich durch eine "notorisch fehlgeleitete Politik" gegenüber den Roma auszeichnen.

Freimut Duve von der OSZE sucht nach Auswegen aus der europaweit unbefriedigenden Situation. Dabei ist er mit der "Reduktion" dieser Minorität auf eine spezifische "Gruppenidentität" und damit auch mit dem Minderheitenbegriff, den die OSZE ausgearbeitet hat, nicht einverstanden: Für ihn geht es in erster Linie darum, dass die Roma verstärkt "als Inhaber von Bürgerrechten" wahrgenommen werden.