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"Diskurs nicht von rechten Schreihälsen diktieren lassen"

Von Matthias G. Bernold

Politik

Der Wiener Rechtsanwalt und Fremdenrechts-Experte Clemens Lahner über die Pläne zur Reform des Asylrechts, Herausforderungen für den Sozialstaat und Rezepte gegen den politischen Rechtsruck.


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"Wiener Zeitung": Die Staatsanwaltschaft lässt gegen den sogenannten Refugee-Konvoi wegen des Verdachts auf Schlepperei ermitteln. Was wird dabei herauskommen?

Clemens Lahner: Der Konvoi war eine politisch-humanitäre Aktion, dabei hat sich niemand bereichert, also ist es keine Schlepperei. Das Verfahren wird eingestellt werden. Dass da überhaupt ermittelt wird, ist eine Verschwendung von Steuergeld.

Für heuer wird mit rund 85.000 Asylanträgen gerechnet. Das sind rund viermal so viele wie im Jahr davor: Bringt das den österreichischen Staat an seine Grenzen?

Die Situation ist auf alle Fälle zu schaffen. Österreich hat nach dem Prager Frühling Zehntausende, nach dem Ungarnaufstand fast 170.000 Menschen aufgenommen. Während des Bosnien-Krieges sind 90.000 Menschen gekommen. Das sind inzwischen ganz einfach Österreicher. Die Sorge, dass uns die jetzige Situation überfordern könnte, halte ich für unbegründet.

Das klingt sehr optimistisch. Selbst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spricht aber von einer "historischen Herausforderung". Mit der ersten Unterbringung Asylsuchender ist es ja nicht getan. Es geht um Fragen bei Wohnraum, Schulen, Sozialeinrichtungen, Gesundheitsversorgung und für das Zusammenleben.

Wir werden uns bemühen müssen, keine Frage. Aber wir dürfen Integration nicht als Einbahnstraße sehen. Die Versorgung von Asylwerbern ist nicht bloß ein Kostenfaktor. Das Geld, das hier investiert wird, geht sofort in den Binnenkonsum und stellt einen positiven Impuls für die Wirtschaft dar. Ich gebe dem Migrationsforscher Rainer Bauböck Recht, der in einem Interview gesagt hat, dass wir in zehn Jahren Merkel für ihre couragierte Politik danken werden. Mehr als drei Viertel der Asylwerber heute sind Männer. Viele von ihnen werden das Recht auf Familiennachzug geltend machen.

Das bedeutet bis Ende 2016 zwischen 150.000 und 200.000 Menschen mit den gleichen Rechtsansprüchen an den Sozialstaat wie die Österreicher. Macht es da nicht Sinn, gegenzusteuern?

Das ist Augenauswischerei. Es wird versucht, mit bürokratischen Hürden Härtefälle zu produzieren und Österreich als Zielland unattraktiv zu machen. Familienzuzug hat gute Gründe: Es erleichtert die Integration einer Person, wenn die Familie im Land ist. Familienzuzug zu erschweren, bewirkt nicht, dass weniger Menschen kommen. Die Frauen und Kinder werden nicht alleine in den Flüchtlingslagern zurückbleiben. Schaffen sie es nicht auf legalem Wege, werden sie es in Booten probieren. Sehenden Auges provoziert man so die nächsten paar Tausend Toten im Mittelmeer.

Was halten Sie von Asyl auf Zeit?

Das ist nicht zuletzt deshalb unsinnig, weil unser System bereits jetzt die Möglichkeit kennt, Asyl abzuerkennen. Das wird auch so gehandhabt. Etwa, wenn jemand straffällig wird. Automatisch in jedem Verfahren drei Jahre später die Voraussetzungen neuerlich prüfen, produziert unglaublichen bürokratischen Aufwand. Es wird auch nicht zu mehr Aberkennungen des Asyl-Status führen. Kaum ein internationaler Konflikt verschwindet innerhalb von drei Jahren.

Was wäre Ihre Lösung für die Flüchtlingskrise?

Erstens: Sichere Fluchtwege schaffen. Wir können die Leute nicht im Meer ersaufen lassen und eine Industrie von Schleppern subventionieren. Zweitens: Die EU sollte solidarisch und gemeinsam die Kosten für die Flüchtlingsunterstützung übernehmen. Drittens: Das Asylrecht sollte vom Innenministerium ins Sozialministerium oder überhaupt in ein eigenes Ministerium wandern. In den letzten Jahren haben alle unsere Innenministerinnen und Innenminister bewiesen, dass sie unfähig sind, das Asylrecht vernünftig zu managen.

Warum soll sich die Politik verbessern, wenn sich die ministerielle Zuständigkeit ändert?

Es liegt in der Logik des für Sicherheitsfragen zuständigen Innenministeriums, Flüchtlinge primär als Sicherheitsrisiko zu begreifen. Dieser Zugang wird der Materie nicht gerecht. Asyl, Migration und Integration sind soziale Themen, die einer sachlichen und unaufgeregten Herangehensweise bedürfen.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt. Macht Sie die notwendige Integration von Zehntausenden Asylberechtigten da nicht besorgt?

Migranten gegen Arbeitnehmer auszuspielen, lenkt vom wahren Problem ab. Ob 10.000 oder 100.000 Personen kommen, ist nicht entscheidend. Die fehlende Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit ist es. Man muss Einkommen aus Arbeit entlasten und Einkommen aus Vermögen belasten. Wenn alle einen fairen Beitrag leisten würden, wäre genug Geld da für Infrastruktur, Forschung, Bildung und Integration.

Europaweit profitieren Rechtspopulisten von der Diskussion um die Flüchtlinge. Die FPÖ liegt in Umfragen bundesweit auf Platz Eins. Wie lässt sich der Rechtsruck verhindern?

Am Rechtsruck sind die etablierten Parteien schuld, die Politik für Banken und Konzerne gemacht haben statt für ihre Bürger. Wenn man auf die Wirtschaftskrise nicht mit Austerität reagiert hätte, sondern mit einer Art New Deal. Wenn man in Bildung und Infrastruktur investiert hätte, dann hätten nicht so viele Menschen Angst vor dem sozialen Abstieg und würden jetzt Demagogen und Rechtspopulisten auf den Leim gehen.

Was würden Sie der Regierung empfehlen?

Dass sie sich den Diskurs nicht von rechten Schreihälsen diktieren lässt. Und sich nicht in Ausflüchte ergeht, ob das jetzt ein Zaun ist oder ein Tor mit Seitenteilen. Der kleine Libanon hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als die ganze EU zusammen. Wenn der Libanon das schafft, dann werden wir das als eines der reichsten Länder der Welt auch packen.




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Der Text ist die erweiterte und aktualisierte Fassung eines Interviews aus "Talk & Ride – die Sendung mit dem TV-Radl", die im Rahmen der Kooperation von "Wiener Zeitung" und W24 ausgestrahlt wurde. Die Sendung wird Freitag, den 13. 11. 2015 wiederholt