Zum Hauptinhalt springen

Diskutieren, nicht schulmeistern

Von Engelbert Washietl

Kommentare
Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Dem ORF muss gestattet bleiben, dass in seinen Sendungen auch unorthodoxe Einzelmeinungen vorkommen, ohne dass gleich nach dem Maulkorb gerufen wird.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Über wie viele Diskussionsteilnehmer, die der ORF in und nach der amerikanischen Wahlnacht aufgeboten hat, wurde hernach weiterdiskutiert? Über einen einzigen: Klaus Emmerich.

Der quotenbrünstige ORF könnte über diesen einen eigentlich erfreut sein. Stattdessen stecken die Wahlnacht-Veranstalter durch die provokanten Ansichten des Exkollegen in der Klemme, zwischen markttauglichem Tamtam und öffentlich-rechtlicher Anständigkeit Kurs zu halten. Die politisch Korrekten standen ja angeblich in der ORF-Beschwerdeabteilung sofort nach der Sendung Schlange, an der Spitze Dieter Brosz von den Grünen. Er verlangte, dass der ORF den ehemaligen Amerika-Korrespondenten Emmerich für alle künftigen Diskussionsrunden sperre.

Selbstverständlich entschied sich der ORF nach den Worten seines Kommunikationsdirektors Pius Strobl für die Anständigkeit. Oder wenigstens für die typische ORF-Anständigkeit: Er distanzierte sich "entschieden von jeder Art der Diskriminierung", bezeichnete ein künftiges Auftrittsverbot für Emmerich jedoch als "Sache der jeweiligen Redaktion".

Wie soll er es wirklich halten? Wenn der ORF Wert darauf legt, dass bei seinen Diskussionen nicht bloß Leute zuhören und zusehen, die wegen akuter Schlafstörung keinen anderen Sinn im Leben finden als ORF-Diskussionen zu konsumieren, wird er unvorhersehbare Pannen und Peinlichkeiten riskieren müssen. Die Leute sollen ja streiten miteinander, wozu sind Diskussionen sonst gut? Probleme lösen sie nie.

Wie rasch wäre der alte und schon legendäre "Club 2" verkommen, wenn Moderatoren wie etwa Günther Nenning von jedem Diskutanten ein notarielles Bekenntnis zur politischen Correctness verlangt hätten? Sie taten es nicht, den "Club 2" gab es 19 Jahre und 1400 Sendungen lang - mit nicht wenigen Skandalen. Und seit 2007 gibt es ihn wieder, weil er gefehlt hat.

Entweder lädt der ORF Emmerich - ohne ihn formell zu "sperren" - wirklich nicht mehr ein, weil sich dieser vielleicht gerade in einem fünften Interview als Rassist outet, warum, wissen nur er und der Himmel. Oder der ORF lädt ihn gleich noch einmal ein, wenn er einmal richtig ausgeschlafen ist, setzt ihn in eine durch geistige Widersacher bestückte Couchgruppe und lässt alle zusammen diskutierend nachforschen, warum der Nerv so empfindlich ist, den Emmerich getroffen hat.

Es regt sich über ihn ja sogar die "Kronen Zeitung" auf, die im Kampf gegen den Rassismus eine bekannt sensible Rolle spielt und in der jetzigen Affäre gleich eine "Wiederbetätigung" vermutet, was allerdings mindestens so schräg ist wie Emmerichs türkischer Bundeskanzler.

Zur Tiefenschürfung sei ein Klassiker der Kommunikationsliteratur empfohlen, nämlich Elisabeth Noelle-Neumanns "Schweigespirale". Die Gründerin des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts, die demnächst 92 Jahre alt wird, ist trotz ihrer zumindest für Europa bahnbrechenden Erkenntnisse auch in Verruf gebracht worden, weil political correctness meist nur dann erwünscht ist, wenn sie zum Zeitgeist passt.

Aber eine Grundthese hat sich wohl durch Jahrzehnte bewahrheitet, übrigens auch im jüngsten Nationalratswahlergebnis: Es ist besser, rechtzeitig über Probleme zu reden als eine Situation entstehen zu lassen, dass über bestimmte Themen nur mit einer bestimmten Wortwahl oder überhaupt nicht gesprochen wird. Die Frage, welchen Stellenwert Rassismus im Meinungsbild der Österreicher hat, wäre so ein Thema.