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Disput um islamischen Unterricht

Von Stefan Beig

Politik

Schiiten fordern eigenen Unterricht. | Aleviten fühlen sich nicht vertreten. | Wien. An Österreichs Schulen erteilen rund 350 Lehrer 40.000 muslimischen Schülern Islamunterricht. Wenig beachtet wurde bisher, dass im Islam - ähnlich wie im Christentum - verschiedene Richtungen existieren: Die weltweit größte Gruppierung sind die Sunniten, 15 Prozent aller Muslime folgen dem schiitischen Islam.


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Unmut über den Islam-unterricht in Österreich äußerte jüngst Salem Hassan, Koordinator schiitischer Organisationen in Österreich. Er kritisiert, dass nur nach sunnitischem Lehrplan unterrichtet werde, "sodass viele schiitische Eltern ihre Kinder nicht in den islamischen Religionsunterricht schicken können". In der Islamischen Religionspädagogischen Akademie würden keine schiitischen Professoren unterrichten, auch in den Führungsorganen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) seien nur Sunniten vertreten.

In der Religionspädagogischen Akademie kann man die Aufregung nicht verstehen. "Wir müssen Prioritäten setzen", erklärt der Direktor Elsayed Elshahed. "Die meisten Schüler kommen aus der Türkei. Daher unterrichten wir nach der hanefitischen Rechtsschule (Anmerkung: eine der vier sunnitischen Rechtsschulen), die in der Türkei verbreitet ist. Unser Angebot richtet sich nach dem, was verlangt wird." Im Übrigen bestehe viel Kontakt zwischen Schiiten und Sunniten. Es gebe auch schiitische Religionslehrer.

Wir schließen unsere schiitischen Geschwister nicht aus und lassen auch keinen Keil zwischen uns treiben", meint IGGiÖ-Sprecherin Amina Baghajati. Uneinigkeit herrscht über die Frage, wie viele Schiiten in Österreich leben. Salem Hassan spricht unter Hinweis auf etliche nicht eingebürgerte Flüchtlinge von 60.000, die IGGiÖ von 12.000. Insgesamt leben rund 400.000 Muslime in Österreich.

Ist Islam-Vertretung

gar nicht repräsentativ?

Kritik an der IGGiÖ kommt auch von Günther Ahmed Rusznak, Generalsekretär des Islamischen Informations- und Dokumentationszentrums Österreichs: Nur ein Prozent aller Muslime hätte Einfluss auf die Zusammensetzung der IGGiÖ-Vertretung, der Rest sei überhaupt nicht wahlberechtigt.

Österreich ist das einzige europäische Land, das mit der IGGiÖ über eine offizielle Vertretung aller Muslime verfügt. In anderen Staaten konnten sich die verschiedenen islamischen Richtungen nicht auf eine einzige Vertretung einigen. Der an allen österreichischen Schulen erteilte Islamunterricht ist daher ein europäisches Unikum. Im Jahr 1998 wurde die Islamische Religionspädagogische Akademie gegründet, an der seither alle Religionslehrer ausgebildet werden.

Bis heute ungeklärt ist der Status der Aleviten. In der Türkei bezeichnen sich rund 23 Millionen Menschen als Aleviten. Ihre Zahl in Österreich wird vom Innenministerium auf 60.000 geschätzt. Offiziell werden die Aleviten zu den Muslimen gezählt. Der alevitische Glaube unterscheidet sich jedoch gravierend von der Lehre des sunnitischen und schiitischen Islams. Die Aleviten haben keine Moscheen, sondern eigene Kultstätten (Cemevi). Es gibt weder das Fasten im Monat Ramadan noch die Pilgerfahrt nach Mekka und das Kopftuch für Frauen.

Der Alevismus kennt keine islamische Rechtsordnung, sondern befürwortet ausdrücklich die Trennung von Religion und Staat. Laut der Föderation der Aleviten mit Sitz in Wien besuchen alevitische Kinder in der Regel nicht den islamischen Religionsunterricht. Ein Problem sei, dass in der Türkei der alevitische Glaube nicht anerkannt werde. Im Jahr 1982 wurde Religionsunterricht nach sunnitischer Lehre als Pflichtfach eingeführt. Seither bekommen auch alevitische Kinder gegen den Willen ihrer Eltern sunnitischen Religionsunterricht.

Gespräche mit Aleviten bisher ergebnislos

In Österreich konnten die Aleviten mittlerweile in allen Bundesländern Kulturvereine gründen. Dass sich die IGGiÖ in Zukunft um alevitischen Religionsunterricht kümmern wird, hält die alevitische Föderation für unrealistisch. M. Ali Cankaya, Vorsitzender der Föderation von Aleviten Gemeinden in Österreich, sagt, dass Gespräche mit der IGGiÖ bisher ergebnislos blieben, da die Unterschiede zu den Aleviten zu groß seien. Im Gegensatz zu Österreich wird in Deutschland bereits in mehreren Städten alevitischer Religionsunterricht erteilt.