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Disruptive Politik

Von Simon Rosner

Politik
Neos-Chef Matthias Strolz diskutiert in der WU Wien mit interessierten Bürgern.
© Christoph Liebentritt

Die Neos sammelten mit Irmgard Griss Ideen, um Österreich zu verändern. Ihre Ansätze sind etwas unterschiedlich.


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Wien. Rausgehen, zuhören, Ideen sammeln, aktiv auf den sozialen Netzwerken sein, und vor allem: "sich öffnen", über die Parteigrenzen hinauswagen. Was ein bisschen nach einem politikstrategischen Eh-klar des 21. Jahrhunderts klingt, ist in der Praxis für die einstigen Großparteien in der Umsetzung nicht so einfach. Die ÖVP hatte schon vor Jahren ihre Perspektivengruppe unter Obmann Josef Pröll - mit sehr bescheidenem Erfolg. Und die SPÖ ist gerade dabei, Beteiligungsmöglichkeiten für Nicht-Mitglieder zu entwickeln. Die Strukturen dieser Parteien und ihre innere Funktionslogik zu verändern, ist jedoch ein schwieriges Unterfangen.

Die Neos wollen eigentlich gar nicht so sehr Partei sein, vielleicht auch deshalb. Sie müssen aber. Denn nur Parteien können bei Wahlen antreten, um dann im Erfolgsfall am parlamentarischen Prozess teilhaben zu können. Aus dem Grund hat Matthias Strolz, der aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund kommt und auch bei Prölls Perspektivengruppe mitgewirkt hat, im Oktober 2012 die Neos gegründet. Ein Jahr später zogen die Pinken in den Nationalrat ein.

Die Wirtschaftsuniversität Wien am Mittwochabend. Die Neos beziehungsweise die mit ihnen verbundene Plattform "Österreich spricht" hat in eines der monolithischen WU-Gebäude zu einem sogenannten Bürgerforum geladen, dem dritten in Österreich, weitere werden folgen. Es ist eines von mehreren niederschwelligen Formaten, die die Neos zum Austausch nutzen. Und natürlich: Rausgehen, zuhören, Ideen sammeln, "sich öffnen". Das soll auch eine Werbewirkung haben. Das Bürgerforum wird im Internet live übertragen.

Unmittelbar daneben finden gerade Vorträge im WU-Gründerzentrum statt, es geht unter anderem um "Steueroptimierung". Der Raum ist klein, zumindest zu klein für das offenkundig große Interesse der Start-Up-Szene. Einige müssen draußen stehen. Die Neos haben nebenan die Mensa gemietet, sie ist an diesem Abend etwas zu groß. Der Besuch bleibt mit knapp unter 100 Teilnehmern leicht unter den Erwartungen.

Auch wenn die Veranstaltung im Gründerzentrum eine Koinzidenz ist, so kann man die Neos wohl auch als eine Art politisches Start-up bezeichnen. Was Strolz propagiert, und was an diesem Abend auch an Ideen und Vorschlägen in den Arbeitsgruppen entwickelt wurde, lässt sich dann auch mit einem Begriff aus der Gründerszene überschreiben: Disruption. Föderalismus abschaffen, keine Parteipolitik in den Schulen, das Bildungswesen komplett erneuern, ein Ende der Sozialpartnerschaft. Eine von mehreren losen Arbeitsgruppen an diesem Abend hat gar die Forderung aufgestellt, den Klubzwang im Nationalrat unter Strafe zu stellen.

Neos und Griss -ein perfect match?

Ideen wie diese würden doch eine fundamentale Veränderung des politischen Systems und auch der östereichischen Verfassung (und Verfassthet) darstellen - so wie auch Whatsapp, Airbnb, Uber und Co. traditionelle Wirtschaftszweige gegenwärtig komplett umkrempeln. Dazu passt auch, dass einer der Gäste an der WU Ali Mahlodji ist, der Gründer von Whatchado, einem Internetportal, das Berufsorientierung anbietet, diese aber auf völlig neue Art und Weise interpretiert. Whatchado ist zu einem großen Erfolg geworden.

Das Publikum ist durchmischt, mehr Angestellte als Selbständige und Studenten, wie eine Blitzumfrage der Moderatorin auch ergab. Und auch Pensionisten sind gekommen, mehr als bei den bisherigen Bürgerforen in Graz und Salzburg. Und sie kamen wohl in erster Linie wegen dem zweiten Gast: Irmgard Griss.

So auch Frau Sperl, Richterin im Ruhestand. "Sie spricht auch meine Generation an", sagt sie. Nach der Veranstaltung sollte die relativ knapp im ersten Wahlgang gescheiterte Kandidatin für das Bundespräsidentenamt regelrecht belagert werden. Und einige gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, Griss möge in der Politik künftig eine Rolle spielen. Bei den Neos? Dass einige an diesem Abend entsprechende Wünsche äußerten, ist logisch, und würde für die Neos vermutlich auch strategisch durchaus sinnvoll sein.

Doch das Bürgerforum offenbarte auch, dass inhaltlich nicht unbedingt Deckungsgleichheit besteht. Bei einem Diskussionsforum ist das nicht von Bedeutung und fördert vielmehr die Debatte. Und darum ging es auch in erster Linie: Rausgehen, zuhören, Ideen sammeln und so. Doch bei einer wie immer gearteten Allianz zwischen Neos und Griss wäre das naturgemäß ein Thema.

Trotz zahlreicher Parallelitäten ist Griss’ grundsätzlicher Ansatz ein etwas anderer. Während die Neos geradezu ostenativ das (gelebte) System in Frage stellen und eben disruptiv wirken wollen, geht es bei der ehemaligen Höchstrichterin vor allem darum, Korrektive einzuziehen. Am Mittwoch sprach sie etwa über Transparenz, über die Befristung von Gesetzen sowie eine Bürgerversammlung nach irischem Vorbild, die per Los besetzt wird.

"Das Parteiensystem kann man nur bedingt ändern, daher braucht es ein Korrektiv", sagt Griss. Sie fordert Konsequenzen bis hin zu persönlichen Haftungen, wenn nachweislich Politiker fahrlässig Entscheidungen getroffen haben, die sich als nachteilig für die Republik erweisen. "Man muss ordentlich arbeiten, das hat man bei der Hypo-Verstaatlichung nicht getan".

Frau Sperl nickt. Und sie ist nicht die einzige. Wie es ihr gefallen hat? "Ausgezeichnet".