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Geldbuße und Entschuldigung statt Strafverfahren. | Schuldgeständnis wegen wirtschaftlichem Druck. | Wien. Sowohl Kleinkriminelle als auch die Gerichte profitieren davon: Seit es die Diversion gibt, sind die gerichtlichen Verurteilungen drastisch zurück gegangen. Statt nämlich Kleinkriminellen einen Prozess zu machen, werden andere Methoden angewandt: Mit Geldbußen, gemeinnützigen Leistungen, Schadensgutmachung und Entschuldigung beim Opfer soll eine Straftat im Bagatellbereich sanktioniert werden, ohne dass es zu einem Gerichtsverfahren mit möglicher Verurteilung und Stigmatisierungseffekt kommt. Die Gerichte ersparen sich dadurch wiederum Arbeitsaufwand.
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Dass diversionelle Erledigungen hierzulande mittlerweile gang und gäbe sind, zeigen die Zahlen der Diversionsstatistik: 2007 gab es 45.317 Diversionsangebote - die Zahl der gerichtlichen Verurteilungen lag hingegen bei 43.158.
Strafverteidiger und Rechtsanwalt Richard Soyer hält die Diversion für "einen Meilenstein in der Strafrechtspflege". Ähnlich sieht es Christoph Koss von der Organisation Neustart, die die Durchführung diversioneller Maßnahmen begleitet und überwacht. 8000 bis 9000 Fälle werden Neustart jährlich dafür zugewiesen. "Die Rückfallsquoten bei Tätern, die Mediation, Tatausgleich oder gemeinnützige Leistungen machen, sind wesentlich niedriger als die Rückfallsquoten von Tätern, die vom Gericht verurteilt wurden", erzählt Koss stolz. Bei Körperverletzungsdelikten würden nur 14 Prozent der Täter, die Diversion in Anspruch nehmen, innerhalb von zweieinhalb Jahren wieder rückfällig. Hingegen beträgt die Rückfallsquote bei Verurteilungen wegen Körperverletzungen laut Koss 41 Prozent.
Freiwilligkeit in Grenzen
Diversion gibt es allerdings nur auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft und nur, wenn der Beschuldigte zustimmt. Wer sich für nicht schuldig hält, kann die Diversion auch ablehnen. Er muss dann jedoch mit einem Strafverfahren rechnen, das unter Umständen auch schlecht für ihn ausgehen könnte.
Hier sieht der Strafrechtsexperte Helmut Fuchs von der Universität Wien ein Problem, auch wenn er die Diversion grundsätzlich für eine positive Errungenschaft hält. "Es wird schon ein bestimmter Druck auf den Beschuldigten ausgeübt", sagt Fuchs. Wenn etwa die Beweislage schlecht ist, könnten auch Unschuldige eine Diversion akzeptieren - aus Angst vor dem ungewissen Ausgang eines Strafverfahrens. Fuchs selbst kennt einen solchen Fall - "das kommt aber eher selten vor".
Kritisch beurteilt der Strafrechtsprofessor auch die fehlende Überprüfungsmöglichkeit bei der Entscheidung über diversionelle Maßnahmen. Schließlich obliegt es allein dem Staatsanwalt, ob und welches Diversionsangebot er dem Beschuldigten macht, wobei er aber an gesetzliche Vorschriften gebunden ist. Nimmt der Beschuldigte an, bekommt ein Richter den Fall gar nicht erst zu sehen.
Auch Strafverteidiger Soyer räumt ein, dass es "eine Machtballung bei der Staatsanwaltschaft gibt". Er hält die Befugnisse der Staatsanwälte aber für "sachgerecht" und die Kritik daran für "überzogen". Soyer fordert sogar, die Diversion auf fahrlässige Tötung auszuweiten. "Wenn etwa eine Mutter einen Autounfall hat, bei dem ihre Kinder ums Leben kommen, ist sie gestraft genug." Solche Fälle gehören seiner Meinung nach nicht vor Gericht, sondern diversionell erledigt. Derzeit ist Diversion nicht möglich, wenn die Straftat den Tod eines Menschen zur Folge hatte.