Einblick ins Erbgut von Menschen, die vor Jahrtausenden lebten. | Verunreinigungen sind kein Hindernis. | Berlin. Die Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie freuen sich riesig darüber, sich selbst widerlegt zu haben. Noch vor einem Jahr war der Gründungsdirektor des Instituts, Svante Pääbo, felsenfest davon überzeugt, dass die Reihenfolge der Bausteine im Erbgut moderner Menschen nicht zuverlässig bestimmt werden kann, wenn diese bereits vor Jahrtausenden verstorben sind und nur noch ihre Knochen untersucht werden können.
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Und jetzt (am 9. Februar 2010, Current Biology, Band 20, Seite 1-6) präsentiert Johannes Krause aus seiner Abteilung gemeinsam mit fünf Kollegen und Svante Pääbo eine solche "Sequenz" genannte Reihenfolge von Erbgutbausteinen eines Menschen, der vor 30.000 Jahren im heutigen Russland das Zeitliche segnete. Damit stoßen die Wissenschafter das Tor für einen wichtigen Zweig zur Erforschung der Entwicklungsgeschichte der modernen Menschen weit auf.
Mit gutem Grund hatten sie diese Möglichkeit bisher ausgeschlossen. Bevor die Max-Planck-Forscher das Erbgut untersuchen können, haben andere Menschen die Überreste der vor Jahrtausenden Verstorbenen in Händen gehalten. Da mag der erste Finder die Knochen berührt haben, der Ausgräber und die Menschen, die im Museum die Fossilien auspacken und präparieren, haben ebenfalls ihre Finger im Spiel gehabt. Von jedem Beteiligten aber können winzige Hautschuppen an den alten Knochen hängen bleiben.
Und diese Teilchen enthalten normalerweise auch Erbsubstanz, die Molekularbiologen mit "DNA" abkürzen. Isolieren die Leipziger Forscher das Erbgut aus den Knochen eines Mammuts, das seit der letzten Eiszeit im Permafrostboden Nordrusslands tiefgefroren war, finden sie neben Dickhäuter-DNA häufig auch menschliche DNA. "Kontamination" nennen Paläomolekularbiologen solche Verunreinigungen.
Knochenfunde am Mittellauf des Don
Bei der Analyse von Mammut-DNA sind diese Kontaminationen zwar ärgerlich, aber da es im Erbgut bestimmte Reihenfolgen von Buchstaben gibt, die für Menschen oder aber für Mammuts typisch sind, können die Forscher zumindest untersuchen, ob die Probe mit menschlichem Erbgut kontaminiert ist. Aus nicht verunreinigten Proben können sie dann die Sequenz der Mammut-DNA bestimmen. Genauso klappt das für andere Tiere und auch für ausgestorbene Verwandte des Menschen bis hin zu den Neandertalern.
Ein vor 30.000 Jahren verstorbener Mammutjäger aus der Art des modernen Menschen Homo sapiens aber hat genau die gleichen Baustein-Reihenfolgen im Erbgut wie der Wissenschafter, der am Mittellauf des Don rund vierhundert Kilometer südlich von Moskau an einer Kostenki genannten Stelle diese Eiszeitmenschenknochen ausgräbt. Also können die Forscher nicht unterscheiden, ob die gewonnene DNA mit Erbgut aus dem 20. oder 21. Jahrhundert kontaminiert ist oder nicht. Noch vor einem Jahr war Svante Pääbo sich daher sicher, keine zuverlässigen Sequenzen von Menschen analysieren zu können, die vor Jahrtausenden verstorben sind.
Svante Pääbo ist aber nicht nur der erste Forscher, der in den 1980er Jahren DNA aus ägyptischen Mumien isoliert hat, sondern leitet auch eine Abteilung, die auf diesem Gebiet der Paläomolekularbiologie immer wieder bahnbrechende neue Methoden entwickelt. Und notfalls widerlegen sich die Leipziger dabei eben selbst. Denn das Erbgut des Mammutjägers und des Wissenschafters der Moderne unterscheiden sich natürlich. So zerhacken chemische Reaktionen in der Umwelt mit der Zeit die extrem langen DNA-Ketten zu zunehmend kleineren Bruchstücken. Lag das Erbgut des Mammutjägers also 30.000 Jahre in Kostenki am mittleren Don in der Erde, sollte es aus viel mehr kleineren Fragmenten bestehen als die DNA in den Hautfetzen des Wissenschafters, die erst seit wenigen Jahrzehnten an den alten Knochen haften.
Diese Theorie konnte Johannes Krause bestätigen, als er die DNA eines Neandertalers mit einer Kontamination mit dem Erbgut eines modernen Menschen verglich. Die erheblich jüngere Homo-sapiens-Probe hatte ein ganz anderes Muster mit viel mehr großen DNA-Bruchstücken als das Neandertaler-Erbgut, in dem die Forscher erheblich mehr kleine DNA-Fragmente finden. Allein das Muster der verschieden langen Bruchstücke des Erbgutes gibt also einen Hinweis, ob das Material kontaminiert ist oder nicht.
Im Laufe der Jahrtausende verändern noch zusätzlich chemische Reaktionen einzelne Bausteine des Erbgutes. Einer dieser Bausteine heißt "Cytosin". Aus diesem Cytosin aber spaltet sich, wenn Wasser vorhanden ist, langsam eine sogenannte "Aminogruppe" ab, und es entsteht ein anderer Baustein, den Biochemiker als "Uracil" bezeichnen. In 40 Prozent aller alten DNA sind die Cytosine an der ersten Stelle eines Bruchstückes bereits in Uracil umgewandelt, stellen die Forscher fest. Auch diese Veränderung lässt sich daher verwenden, um alte von junger DNA zu unterscheiden.
In den letzten Jahren kam obendrein eine Methode auf den Markt, mit der jedes Fragment einer DNA-Probe erst isoliert, danach einzeln vermehrt und anschließend die Reihenfolge der Bausteine im Erbgut bestimmt wird. Dieses "Hochdurchsatz-Sequenzieren" aber funktioniert im Gegensatz zur vorherigen Methode auch mit den kleinen Fragmenten gut, die für alte DNA typisch ist.
Als Johannes Krause mit diesen Methoden die 30.000 Jahre alte DNA aus einem Armknochen eines Mammutjägers aus dem russischen Kostenki untersuchte, konnte er die Reihenfolge der rund 17.000 Bausteine der Mitochondrien genannten Mini-Organe in den Zellen des frühen Homo sapiens erfolgreich bestimmen.
Spannender Vergleich mit moderner DNA
Ein Vergleich mit dem Mitochondrien-Erbgut heute lebender Menschen bewies dann, dass mindestens 98,7 Prozent der isolierte DNA-Fragmente von einem einzigen Individuum stammten. Da auch das Muster der Fragmentgrößen und die Umwandlungen von Cytosin in Uracil auf alte DNA hinweist, scheint eine Kontamination mit dem Erbgut heute lebender Menschen sehr unwahrscheinlich.
Johannes Krause und Svante Pääbo haben daher eine Methode entwickelt, mit der sie zum Beispiel untersuchen können, ob die Menschen im Europa vor 30.000 Jahren das selbe Erbgut hatten wie moderne Europäer oder ob die Ureinwohner irgendwann von Einwanderern verdrängt wurden, deren DNA ein klein wenig anders aussieht.
Neandertaler-Erbgut
(rhk) Die Forscher um Svante Pääbo und Johannes Krause am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entwickeln nicht nur neue Methoden zur Analyse alten Erbguts, sondern versuchen auch das Erbgut von Neandertalern vollständig zu entschlüsseln. Mit einer sogenannten Shot-Gun-Sequenzierung haben sie die 3,5 Milliarden Bausteine dieses Genoms inzwischen einmal komplett gelesen. Einige wenige Analysen dazu stehen noch aus, dann wollen sie die Ergebnisse veröffentlichen.
Anschließend muss die Bestimmung der Bausteine noch einige Male wiederholt werden, um seltene, aber mögliche Fehler in dieser Sequenz zu eliminieren. Obendrein sollen bei solchen Analysen auch immer verbleibende kleinere Lücken in der Reihenfolge der DNA-Bausteine geschlossen werden.