Zum Hauptinhalt springen

Doderer hat alles schon gewusst

Von Engelbert Washietl

Kommentare
Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Wirtschaftskrise, Spekulationsskandale und Bestechung von Abgeordneten und Medien durch Geheimdienste - wohin kann man sich noch retten? In die Literatur!


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ab und zu blättert man in einem liebgewordenen Buch, etwa den "Dämonen" Heimito von Doderers. Das ist jener großartige Schriftsteller, dessen Werke auf den heutigen Angebotslisten der Buchhandlungen erst ziemlich weit hinten kommen, weil sich andere Autoren vordrängen - die, die über Doderer schreiben sowie diejenigen, die Neues verfasst haben und somit die aktuelleren sind, wenn auch nur dem Datum nach.

Wie konnte Doderer, der mit seinen "Dämonen" im Jahr 1936 weitgehend fertig geworden und 1966 gestorben ist, so genau wissen, was wir 2009 erleben?

Da wurde soeben ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, um zu klären, wer welchen Abgeordneten mit Hilfe von Geheimmaterial angeschwärzt hat und ob das überhaupt wahr sein könne. Doderer hätte, was seine Romanfigur des Spekulanten Lasch anging, gar keinen U-Ausschuss gebraucht: "Man erzählte von Lasch einige solcher Geschichten, von denen eigentlich keine einzige wahr zu sein brauchte, und doch sind alle recht gut für ihn bezeichnend." Wozu also plagen wir einzelne Abgeordnete und uns selber?

Die indirekte Antwort könnte sich im Zusammenhang mit den vom Verfassungsschutz beobachteten Geldflüssen aus Kasachstan Richtung Medien ergeben.

Für aufrechte Bürger scheint der Erdboden zu wanken, aber der Dichter analysierte in einem Bestechungsskandal der 20er Jahre kühl die Wiener Realität: "Es seien vielfach so geringfügige Beträge angenommen worden", zitiert er einen Wirtschaftsredakteur, "dass man schon beinahe von Unbestechlichkeit sprechen könne - gleichwohl, es musste etwas geschehen."

Und es geschah in Doderers Roman, was sich im Jahr 2009 sehr lebensnah anhört. Ein weiterer Oberspekulant mischte im Zeitungsgewerbe mit und erkannte blitzschnell, dass es zwischen Zeitungen und Banken Interessenlinien gäbe. Schnurstracks fuhr er an den Donaukanal (!) und stieß auf Willkommen: "Gerade der damalige Zeitpunkt aber musste den Direktor einer Großbank sehr geneigt finden zum Kontakt mit einem Manne wie Levielle, der, wenigstens für unsere bescheidenen örtlichen Verhältnisse, jetzt durchaus als ein Zeitungs-Magnat anzusehen war."

Der Kammerrat Levielle, der mit Geschick jeden irgendwo freiwerdenden Sessel sofort besetzte und damit sein Ansehen steigerte, hatte freilich auch die von ihm mitbegründete Holzbank versenkt, ohne Schaden zu nehmen - als es ernst wurde, "verdunstete" er.

Die kurze Holzbank-Geschichte, die sich bei Doderer 1924 abgespielt haben soll, liest sich wie die Gründerchronik zur globalen Finanzartistik. "Dass eine Bank Börsengeschäfte macht, kann man wohl nicht abwegig finden. Wenn aber eine Bank, die zur Belebung des inländischen Holzmarktes gegründet wurde, beinahe nur mehr Börsengeschäfte macht, so scheint sie ein wenig von ihrer Linie abgekommen zu sein." Die Holzbank bekam zudem einen neuen Leiter, dessen Spekulationsfreude man mit einer aus den Landsknechtheeren entlehnten Funktion charakterisierte. Man nannte ihn einen "Hurenwaibel, dem sozusagen vor gar nichts grauste. Er war überall dabei, und wäre es noch so exotisch gewesen".

Es bleiben zwei Fragen offen. Die einfache: Warum wiederholt sich bei uns alles, was es schon immer gegeben hat? Die komplizierte: Warum glauben wir dabei auch noch, all das geschehe zum ersten Mal? Wie es weitergehen wird im Wien des Jahres 2009, steht vielleicht auch schon in den "Dämonen". Man muss allerdings bis zur Seite 1287 lesen, bis der Justizpalast brennt.