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Ist der Weckruf angekommen? Die Reaktion des Weißen Hauses auf die angedrohte Abstufung der US-Kreditwürdigkeit drückte eher Erstaunen und Empörung als Einsicht aus. Eine Sprecherin warf der Ratingagentur Standard & Poors (S&P) vor, diese habe ein "politisches Statement" abgegeben. Natürlich hat sie das. Schließlich sind es die Politblockade und der Ideologie-Hickhack im Kongress, welche die Handlungsfähigkeit der Regierung in Frage stellen.
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Die Einschätzung, dass in diesem Umfeld eine nachhaltige (und nicht nur rhetorische) Lösung der Defizit- und Schuldenprobleme schwierig wird, überrascht niemanden so wirklich. Einmal mehr zeigt sich, dass Ratings wirtschaftliche Entwicklungen nicht vorwegnehmen, sondern ihnen hinterherlaufen: Sie bilden ab, was in der Vergangenheit geschehen ist. (Was die Frage aufwirft, warum sie sich zur Abwägung von Risiken eignen sollten: Diese materialisieren sich dummerweise stets in der Zukunft.)
Offenbar würden die USA die Ratingagenturen gerne als Verbündete sehen: Es scheint fast, als wäre Washington beleidigt, dass diese nicht nur in der europäischen Schuldenkrise Öl ins Feuer gießen. Es ist ein kleiner Schritt der Emanzipation, wenn die US-dominierten Agenturen die Vereinigten Staaten nicht mehr mit Samthandschuhen anfassen. Umgekehrt tut das die Regierung auch nicht: Die US-Finanzmarktreform hat - anders als Europa - Ratings aus Gesetzestexten weitgehend verbannt.
Ein kleines Zugeständnis von S&P an die USA könnte man darin sehen, dass die Warnung erst nach dem G20-Gipfel am vergangenen Wochenende veröffentlicht wurde: Die Debatte, ob der US-Dollar als weltweite Reserve- und Leitwährung abdanken soll, wäre sicher hitziger abgelaufen, wäre die Entscheidung früher bekannt gewesen. In der Euro-Krise sind die Agenturen nicht so zimperlich: Sie publizieren ihre Warnungen und Abstufungen stets vor den EU-Gipfeln - und erhöhen so den Druck auf die Entscheidungsträger.
Die USA sollten freilich nicht nur ihren Haushaltspfad überdenken, sondern auch den Status ihrer Währung - im eigenen Interesse. Bisher haben sie den Dollar als Rückversicherung gegen Pleitebedrohungen und sonstige Unbill der Märkte verstanden. Die Überlegung: Eine Währung, welche der ganzen Welt für Devisenreserven dient, in der Rohstoffe abgerechnet und Handelsverträge geschlossen werden, immunisiert die Notenbank - ebenso wie US-Schuldenpapiere, die als globale Anlageform dienen, eine Staatspleite undenkbar werden lassen.
Diese Sichtweise ist aber gefährlich. Die Doppelfunktion als globale Leitwährung und nationales Zahlungsmittel hat eine Kehrseite: Weil alle Welt Dollars braucht, sind die USA praktisch zu einem Bilanzdefizit und in eine Schuldenspirale gezwungen. Eine neue Weltwährung, die auf dem Devisenkorb des Währungsfonds basieren könnte, wäre langfristig vermutlich sogar in ihrem eigenen Interesse.