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Dass es so wenige zertifizierte Gerichtsdolmetscher in Österreich gibt, ist vor allem eine Frage des Geldes - aber nicht nur.
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Dass die amtsbezahlten Gebühren für Gerichtsdolmetscherinnen und Gerichtsdolmetscher seit 2007 nicht inflationsangepasst wurden, ist wahrlich eine Schande. In keinem anderen öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Sektor wäre dies denkbar.
Bei den sozialpartnerschaftlichen Kollektivvertragsverhandlungen werden in allen Branchen alljährlich Anpassungen entlang der Benya-Formel vereinbart. Unselbständig Beschäftigte können jedes einzelne Jahr fix mit einer mehrprozentigen Lohn- beziehungsweise Gehaltserhöhung rechnen (auch wenn die kalte Progression einen Gutteil davon verschluckt).
Keine Interessenvertretung
Selbst die krisensicher beschäftigten Beamten des Öffentlichen Dienstes haben im budgetgebeutelten Corona-Jahr im November eine Erhöhung der Gehälter und Zulagen um 1,45 Prozent ausverhandelt - "trotz der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Covid-19-Pandemie", so die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst.
Die 740 allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Gerichtsdolmetscher und Gerichtsdolmetscherinnen haben jedoch keine gesetzliche Interessenvertretung, die sich für sie einsetzt: keine Gewerkschaft, keine Kammer, keine Lobby - kein wahrgenommenes Interesse. Ein ehrenamtlich organisierter Verein, der Österreichische Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher (ÖVGD), kämpft seit vielen Jahren für seine (aktuell 535) Mitglieder. Vergeblich. Eine bei Gesprächen im Justizministerium im Sommer in Aussicht gestellte Tarifanhebung für Zertifizierte wurde schubladisiert, mit dem Budgetbegleitgesetz 2021 wurden die Gerichtsdolmetscher wieder nur auf inhaltlichen Nebenschauplätzen abgespeist.
Statt des Flickwerks wäre eine Totalreform der Bezug habenden und teils archaischen Regelwerke, des Gebührenanspruchsgesetzes (GebAG) sowie des Sachverständigen- und Dolmetschergesetzes (SDG), notwendig. Und die Justiz erhält zwar 62 Millionen mehr vom imaginären Budgetkuchen, für die Gerichtsdolmetschenden fällt jedoch "zum Bedauern" der Justizministerin wieder kein Krümelchen ab.
Aushungern des Berufsstands
Die im Laufe der vergangenen 13 Jahre verabsäumte Valorisierung ist indes nur ein Aspekt der Gesamtmisere. Im Bereich des amtsbezahlten Gerichtsdolmetschens (also zum Beispiel in Strafverfahren, Außerstreitsachen und bei Verfahrenshilfe) gelten Tarife, über die andere selbständig erwerbstätige Akademikerinnen und Akademiker nur den Kopf schütteln können: Aus dem bei GebAG ergeben sich 24,80 Euro pro Dolmetschstunde. Nach Abführung von Sozialversicherung und Einkommenssteuer verbleibt etwa die Hälfte davon auf dem Konto.
Noch dazu erfolgt die Bezahlung durch die Gerichte oft erst nach Zahlungserinnerung und Monate nach Erbringung der Leistung, dem Gröscherlgeld muss man auch noch hinterherlaufen. Zum Vergleich: Die am freien Markt in Österreich erzielbaren Preise für hochqualitative Übersetzungen und Dolmetschleistungen sind drei bis fünf Mal so hoch. Im Nachbarland Slowenien, wo das allgemeine Einkommensniveau wohl mehr als ein Drittel unter dem österreichischen liegt, sind die gesetzlichen Stundensätze fürs Gerichtsdolmetschen mit 60 Euro festgeschrieben.
Mangelnde Wertigkeit
In Deutschland, wo die Marktpreise fürs Dolmetschen und Übersetzen allgemein deutlich niedriger sind, liegen die Gerichtsdolmetsch-Stundenpreise aktuell bei 70 Euro. Und die deutsche Regierung lässt sich nicht lumpen: Mit einer Ende November beschlossenen Gesetzesnovelle werden die zuletzt 2013 valorisierten Stundensätze beim Gerichtsdolmetschen ab 1. Jänner 2021 auf 85 Euro angehoben.
Die Erklärung für die fortgesetzt schlechte Bezahlung liegt darin, dass sich die Regierung über eine Erhöhung der Tarife uneins ist. Von den Grünen (sowie den Oppositionsparteien SPÖ und Neos) kommt Unterstützung. Für die ÖVP ist es hingegen politisch nicht opportun und schlichtweg uninteressant, mehr Geld auszugeben für das staatlich finanzierte Gerichtsdolmetschen: Die auf amtsbezahlte Dolmetschungen angewiesenen Personen sind mehrheitlich Menschen mit niedrigem Einkommen ("Verfahrensbeholfene" im Rechtsjargon) sowie mutmaßliche Straftäterinnen und Straftäter, die nicht ausreichend Deutsch können. Nicht gerade die typische ÖVP-Klientel.
Den Türkisen (und der derzeit von den Hinterbänken stichelnden FPÖ) sind die Staatsausgaben in diesem Bereich ohnehin viel zu hoch: Österreichweit betragen einem Rechnungshofbericht aus 2020 zufolge die diesbezüglichen Kosten rund 32 Millionen Euro pro Jahr. Etwa 11 Millionen davon werden für Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften ausgegeben.
Fehlender Nachwuchs
Dazu kommen 21 Millionen Euro bei der Polizei, wobei das Innenministerium kaum auf die 740 geprüften Gerichtsdolmetscherinnen und Gerichtsdolmetscher zurückgreift. Es bedient sich vielmehr eines eigenen Dolmetschregisters mit circa 3.760 eingetragenen "sprachkundigen", aber ungeprüften Personen, allergrößtenteils ohne translatorische Ausbildung. Auf dolmetscherische Fehlleistungen zurückzuführende Pannen bei der Polizei schlagen oft erst vor Gericht auf oder bleiben gänzlich unbemerkt. Fair Trials sind wörtlich beziehungsweise sprachlich nicht für alle möglich.
Laut der Leiterin des Zentrums für Translationswissenschaft Mira Kadric bietet die Universität Wien als größte Ausbildungsstätte für Dolmetscher und Übersetzer im deutschsprachigen Raum das Translationsstudium in 14 Sprachen an. Jährlich schließen 200 bis 300 Personen ab, doch die wenigsten treten nach den erforderlichen zwei Praxisjahren zur Zertifizierungsprüfung an. Gerichtsdolmetschen doesn’t pay the bills.
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