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Dominanz auf allen Ebenen

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

In Griechenland werden die Konservativen nach der Wahl am Sonntag ihre Macht zementieren.


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Griechenland ist in landesweit 333 Kommunen auf der untersten Verwaltungsebene, darüber dreizehn Regionalverwaltungen sowie auf oberster Ebene der Regierung in Athen gegliedert. Von jenen Städten und Gemeinden werden seit den letzten griechischen Kommunalwahlen im Mai 2019 rund 300 von Bürgermeistern geführt, die der konservativen Nea Dimokratia (ND) entweder nahestehen und von ihr unterstützt werden oder deren Mitglied sie sind.

Das gleiche Bild bietet sich dem Beobachter seit den damals zeitgleich stattgefundenen Regionalwahlen: Zwölf der 13 Regionalverwaltungen sind fest in blauer Hand. Blau ist die Parteifarbe der ND. Darunter sind die mit Abstand bevölkerungsreichsten Regionen Attika - der Großraum Athen mit der griechischen Hauptstadt - sowie Zentralmakedonien mit der nordgriechischen Metropole Thessaloniki, in denen in Summe sechzig Prozent der Griechinnen und Griechen leben.

Kein föderaler Staatsaufbau

Griechenland ist zudem kein dezentraler beziehungsweise föderaler Staat wie Österreich, Deutschland oder die Schweiz, sondern ein sehr zentralistischer. Die Regierung in Athen ist mit ihren per Gesetz zugewiesenen Kompetenzen übermächtig und verfügt zudem über das Gros der Gelder, die entweder über Steuer- und Abgabeneinnahmen im eigenen Land generiert oder aus Geldtöpfen der EU ins Land fließen.

Ferner hat der Regierungschef per Verfassung die Macht der Exekutive auf sich vereint. Zwar gibt es das Amt des Staatspräsidenten. Seit März 2020 hat es zum ersten Mal in der Geschichte Griechenlands eine Frau inne, Katerina Sakellaropoulou. Doch die griechische Verfassung sieht für sie nur repräsentative Funktionen vor. Derzeit ist Griechenland blau - und wird es aller Voraussicht nach bleiben. Der Regierungschef hieß bis zum 25. Mai Kyriakos Mitsotakis, der zugleich ND-Chef ist. Seit dem 8. Juli 2019 regierte er alleine in Athen. Erwartungsgemäß war die Parlamentswahl am 21. Mai die Aufwärmrunde, aller Voraussicht nach dürfte die ND unter Mitsotakis die Parlamentswahl nach der Wahl zu Füßen der Akropolis am Sonntag erneut klar für sich entscheiden.

Mitsotakis wirbt mit Erfolgen in der Wirtschaftspolitik, der Digitalisierung der Staatsverwaltung sowie der restriktiven Flüchtlings- und Migrationspolitik. Die meisten Wähler kann er damit gewinnen. Bei der Parlamentswahl im Mai holte die ND 40,1 Prozent der Stimmen, einen Prozentpunkt mehr als im Juli 2019. Die Athener Opposition wurde deklassiert.

Umfragen zufolge könnten es am Sonntag noch zwei Prozentpunkte mehr für die ND werden. Damit dürfte es diesmal für eine bequeme absolute Mehrheit der Parlamentssitze reichen - dem nun geltenden Bonus von bis zu 50 Mandaten sei Dank.

Aufgrund der Schwäche der Linken Syriza könnten bis zu neun Parteien künftig im Parlament vertreten sein. Ob die Spartaner rechtsaußen, die ultrareligiöse Niki (Der Sieg), die linksnationale Plefsi Eleftherias (Kurs der Freiheit) oder die linkstransnationale Mera25 unter Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis: Alle könnten den Sprung über die Dreiprozenthürde schaffen.

Straflosigkeit für Regierungsnahe

Die Angst vor der Allmacht der ND wächst. Das ist nicht unbegründet: Unter Mitsotakis blüht der Klientelismus, die Vetternwirtschaft und die Korruption. Ferner erschüttert ein gewaltiger Abhörskandal das Land. Zudem ist Hellas auf Rang 107 in der globalen Rangliste der Pressefreiheit abgestürzt - ein Rückgang um sagenhafte 42 Plätze binnen drei Jahren. Hinzu kommt noch die massive Einflussnahme auf die Strafjustiz. Das Ergebnis ist eine unsägliche Straflosigkeit für nicht selten regierungsnahe Personen, die in jedem anderen Rechtsstaat schnurstracks hinter Gitter landen würden.

Schließlich fußt das System Mitsotakis auf einer fast unheimlich effizienten Polit-PR unter der Ägide des US-amerikanischen Politstrategen Stan Greenberg, ein Mitglied der US-Demokraten. Der mittlerweile 78-Jährige gilt als Architekt der ND-Wahltriumphe vom Juli 2019 und Mai 2023. Seine international größten Erfolge feierte Greenberg vor und kurz nach der Jahrtausendwende, als er Kampagnen von Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder entwarf. In Österreich war er mit wechselndem Erfolg für die SPÖ tätig.

Das Erfolgsrezept reicht vom ultimativen "Agenda Setting", dem Setzen konkreter Themenschwerpunkte, im öffentlichen Diskurs - stets zum Vorteil der Regierungspartei ND, immer zum Nachteil oder dem Schlechtmachen der Opposition -, bis hin zur Kontrolle der vermittelten Botschaften. Die Message Control perfektionierte hierzulande die ÖVP unter Sebastian Kurz. Das Ziel Greenbergs in Griechenland: Die Bürger sollen glauben oder wenigstens eher glauben, sie würden in einem Paradies leben, oder zumindest nicht mehr so schlecht wie vorher und selbstredend mit der Hoffnung auf eine weitere Besserung.

Dennoch schürt eine Wiederwahl von Mitsotakis in Teilen der hiesigen Politik und Gesellschaft wachsende Ängste. Dass auch seine Corona-Bilanz mit 37.000 Toten mit wiederholten Lockdown-Brüchen von Mitsotakis, die massive Teuerung, sinkende Reallöhne, verheerende Waldbrände, eine Zugtragödie mit 57 Toten oder die jüngste Havarie eines Flüchtlingsbootes mit vermutlich 646 Ertrunkenen vor dem Peloponnes der Popularität von Mitsotakis und seiner ND nicht geschadet haben, macht die Sache nicht wirklich besser.

Griechenland ist blau und bleibt wohl blau. Die Frage ist: Wer kontrolliert die Blauen?