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Donald Trump als Gegen-Präsident

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Das ist zwar nicht legal, spiegelt aber die politische Wirklichkeit wider.


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Der neu gewählte 46. Präsident der USA, Joseph Biden, muss mit einem Gegen-Präsidenten rechnen: dem bisherigen Staatschef Donald Trump. Zum ersten Mal in der US-Geschichte wird es einen im konservativen Lager unumstrittenen Oppositionsführer geben. Die Verfassung sieht das nicht vor. Aber was bedeutet die Verfassung in einem in zwei Lager tief gespalteten Staat?

79 Millionen Amerikaner haben den demokratischen Kandidaten Biden gewählt, 73 Millionen den Republikaner Trump. Das sind in beiden Fällen erheblich mehr als 2016. Für Trump entschieden sich damals 63 Millionen, für Hillary Clinton etwas weniger als 66 Millionen. Vor vier Jahren konnte Trump mehr Wahlleute für sich gewinnen, diesmal siegte Biden mit 306:234. Noch nie in der US-Geschichte haben so viele ihre Stimme abgegeben.

Gleichzeitig hat es noch nie so viele Briefwahlstimmen gegeben wie 2020, was Donald Trump dazu veranlasste, Wahlbetrug zu (t)wittern. Vor allem in großen Städten mit ungefähr gleich großen Lagern lag Trump bei der händischen Stimmabgabe vorn, nach der Auszählung der Briefwahlstimmen hinter Biden. Dieses Wählerverhalten gleicht jenem in Europa - man könnte auch sagen: jenem in Wien, wo im Oktober eine Rekordhöhe bei der Briefwahl registriert wurde.

Trump ist trotz seiner ideologischen Härte als Verfechter einer extrem egoistischen und neo-liberalen Wirtschaftspolitik ("America first") der technisch modernere Politiker. Zwar hält er polemische, mit Lügen gespickte Reden, aber seine Twitter-Tiraden sind effizienter. Sie beherrschen die Weltnachrichten. Biden wiederum weiß um die Kraft von Formulierungen, aber die Sachlichkeit dominiert. Social Media sind nur Hilfsinstrumente. So hocken die beiden in den Startlöchern, im Jänner geht es los: Biden in Amt und Würden, Trump als zügelloser Gegen-Präsident.

Mitte November hat Trump jenen Abteilungsleiter im Heimatschutzministerium gefeuert, der für die geordnete Durchführung der Wahlen verantwortlich war. "Die Wahlen vom 4. November waren die sichersten in der US-Geschichte", hatte dieser öffentlich erklärt. Das war Trump zu viel, das Gegenteil sei wahr.

Glaube zählt mehrals Tatsachen

Weil nur wahr sein kann, was Trump behauptet, sind die Ergebnisse vieler Stimmbezirke noch immer nicht fix. Eines von vielen Beispielen: In einem Distrikt mit 76 Prozent Schwarzen in der einstigen Auto-Hochburg Detroit beeinspruchen die Republikaner das Resultat und legen Kopien von Totenscheinen vor - mit den Namen von Einwohnern, die tatsächlich gewählt haben. Namensgleichheiten gebe es immer wieder, kontern die Demokraten. Nein, das sei Wahlbetrug, sagen die Republikaner. Begleitet wird die Auseinandersetzung von Demonstrationen und Prozessen, die bisher allesamt zu Ungunsten der Trump-Anhänger ausgegangen sind.

All das hat immer weniger mit Tatsachen zu tun, sondern mit Glauben. Die USA sind ein religiöses Land, und wie schon 2016 hat die Mehrheit der Evangelikalen Trump gewählt. Umso erstaunlicher, dass im Süden das republikanische Stammland Georgia an Biden gegangen ist. Einerseits ist Atlanta mit seinem weltgrößten Flughafen ein Hotspot der Wirtschaftskraft der USA, andererseits ist der 1968 ermordete Martin Luther King als Anführer der Bürgerrechtsbewegung ein Symbol für den Kampf um das Ende der Rassentrennung. Jimmy Carter, der 39. Präsident zwischen 1976 und 1981, ein ehemaliger Erdnussfarmer und Gouverneur von Georgia, gilt heute noch mit seinen 96 Jahren als ein Hero der Demokraten.

Eine ähnliche Symbolkraft hat Pennsylvania im Nordosten der USA. In der Großstadt Philadelphia steht die Independence Hall, Unterzeichnungsort der Unabhängigkeitserklärung. Durch den Einfluss britischer Quäker und deutscher Mennoniten kam es früh zur Abkehr vom Sklavenhandel. 25 Prozent der 13 Millionen Einwohner des Bundesstaats sind auch heute noch deutschstämmig. 16 Prozent stammen aus Irland, 12 Prozent aus Italien. Nur 6 Prozent kommen ursprünglich aus England und Schottland.

Die Erzbischöfe von Philadelphia waren bis zum altersbedingten Rücktritt des einem Indianerstamm zugehörigen Kardinals Charles Chaput vor einem Jahr stockkonservativ. Sowohl der Präsidentschaftskandidat und Ex-Außenminister John Kerry (irischer Abkunft) als auch Barack Obama wurden wegen ihrer liberalen Haltung in der Abtreibungsfrage von der Kirchenführung heftig kritisiert. Chaput gilt als Anhänger Trumps.

OANN soll Fox News als Trump-Sender nachfolgen

Trumps frisch gegründetes Komitee "Save America" , das zur Tea Party der ehemaligen republikanischen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin gehört, hat eine starke Repräsentanz in Philadelphia und soll für einen künftigen Kandidaten Trump Geld sammeln. Wahlkampfschulden und persönlich Ausgaben Trumps - darunter die Bedienung der Adressen seiner 90 Millionen Twitter-Follower - sollen mit Hilfe dieses Komitees finanziert werden.

Nach dem Rückzug von Fox News, im Besitz des Medienmoguls Rupert Murdoch, ist Trumps Medienbasis geschmälert. One America News Network (OANN) mit Sitz in San Diego in Kalifornien soll jetzt einspringen. Chanel Rion, Korrespondentin im Weißen Haus und gleichzeitig Cartoon-Zeichnerin, behauptete, Covid-19 werde unter anderem in North Carolina produziert. Die Vereinigung der "White House Correspondents" hat den Sender im Herbst ausgeschlossen, weil er zusätzlich zu den Positionen seiner Korrespondentin auch Schutzmaßnahmen gegen das Virus ablehne.

Mit dem Rückhalt sowohl bei Evangelikalen als auch bei konservativen Katholiken baut sich Trump einen Schutzwall gegen das liberale Amerika. Dass Biden dem irischen Katholizismus entstammt, aber eine eher sozialdemokratische Linie fährt, erklärt viel vom Hintergrund künftiger Auseinandersetzungen: hier ein neoliberaler, das Recht der Stärkeren verfechtender Trump, dort ein mit europäischen Traditionen verbundener Biden, der - auf Mitteleuropa umgelegt - ein rechter Sozialdemokrat oder linker Volkspartei-Funktionär sein könnte.

Großes Gewicht in diesem politischen Kampf der Giganten könnte die neue Vizepräsidentin Kamala Harris haben. Noch nie hat eine Farbige (deren Eltern renommierte Wissenschafter sind) ein so hohes Amt in den USA bekleidet. Da sie auch rhetorisch brilliert, könnte sie 2024 als demokratische Kandidatin gute Chancen gegen Trump haben. Der Mormone Mitt Romney, Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2008 gegen Obama, bezeichnete Trump als den Silberrücken unter den Gorillas der Republikaner. Demnach wäre Harris die flinke Gazelle der US-Politik.