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Mit einem Anteil von knapp 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung sind die evangelikalen Christen die zentrale Wählerbasis der Republikaner. Anders als vielen konservativen Präsidenten zuvor ist Religion Trump aber vor allem Mittel zum Zweck.
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Ein schwüler Sommerabend im Juni 2020 in Washington DC. Donald Trump steht vor der St. John’s Church, auch die "Kirche der Präsidenten" genannt, und blickt entschlossen in die Kameras. Im Hintergrund heulen Polizeisirenen. Vereinzelt hört man Schreie von Demonstranten. Trump hält eine Bibel in die Höhe. "Wir haben das großartigste Land der Welt", sagt er.
Nur 30 Minuten zuvor hatte Amerikas Präsident befohlen, mit Tränengas Demonstranten von dem zwischen der Kirche und dem Weißen Haus gelegenen Lafayette-Platz zu vertreiben. Es war zu heftigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und "Black Lives Matter"-Aktivisten gekommen, die gleichsam den Höhepunkt der George-Floyd-Proteste markierten. In der Nacht zuvor war die Kirche Ziel eines Brandanschlags geworden. Das Feuer konnte aber schnell gelöscht werden. Trump sah das als Gelegenheit, sich vor seinem treuesten Wählerblock, den weißen Evangelikalen, politisch in Szene zu setzen. Der Fototermin mit der Bibel zielte ausschließlich auf die christliche Rechte ab.
An diesem Abend kam es vor der St. John’s Church jedoch zu einem vielsagenden Wortwechsel: "Ist das Ihre Bibel, Mister President?", fragte ein Reporter. "Es ist eine Bibel", erwiderte Trump kurz angebunden. Das machte einmal mehr deutlich, dass der Präsident offensichtlich mit Religion persönlich wenig anfangen kann. Seinem näheren Umfeld zufolge hat er sich sogar schon mehrmals im Privaten über allzu fromme Gläubige lustig gemacht. Auch scheint sein persönlicher Lebensstil schwer mit einem strengen, am Evangelium orientierten Glauben vereinbar.
80 Prozent für Trump
Wie jedem republikanischen Präsidenten seit Ronald Reagan (1981-1989) hält die Mehrheit der rechten Christen in Amerika Trump trotzdem die Treue. Mehr als 80 Prozent wählten ihn im Jahr 2016. Laut letzten Umfragen wollen ihm 82 Prozent der evangelikalen Wähler nach wie vor am 3. November ihre Stimme geben. Das ist ein beachtliches Wählerreservoir. Denn es gibt in den USA an die 62 Millionen evangelikale Protestanten. 76 Prozent davon sind Weiße, elf Prozent Latinos und sechs Prozent Schwarze. Zwar sprechen sich inzwischen einige bekannte evangelikale Persönlichkeiten, etwa Mark Galli, der frühere Chefredakteur des einflussreichen Magazins "Christianity Today", offen gegen Trump aus. Die große Mehrheit der bibeltreuen evangelikalen Christen scheint das aber nicht sonderlich zu beeindrucken.
Der christliche Glaube hat in der Politik des Landes schon immer eine gewichtige Rolle gespielt. Das ist darauf zurückzuführen, dass die amerikanische Gesellschaft über die letzten zwei Jahrhunderte im Gegensatz zu Europa keinen großen Säkularisierungswellen ausgesetzt war. Daher findet sich auch bis heute eine religiös inspirierte Rhetorik in der Politik, die in Europa oft befremdlich wirkt. Die größten politischen Redner des Landes, von Abraham Lincoln bis Martin Luther King, ließen sich vor allem von der biblischen Sprache, insbesondere jener der King-James-Bibel von 1611 inspirieren.
Das ist nicht ohne Ironie. Denn die Gründerväter der USA, allen voran Thomas Jefferson, setzten sich nicht nur vehement für eine Trennung von Staat und Kirche ein. Sie waren in der Mehrzahl auch Verfechter des Deismus, einer in der Aufklärung entstandenen Religionsauffassung, die auf Vernunft gründend keine göttliche Offenbarung kennt. Gleichzeitig zog das Land aufgrund seines in der Verfassung verankerten Toleranzgedankens aber von Anfang an Fundamentalisten an. Radikale Auslegungen des Evangeliums findet man heute insbesondere im sogenannten Bibelgürtel, der grob die alten Südstaaten umfasst, aber auch in westlichen Bundesstaaten wie Colorado.
Radioprediger und Kalter Krieg
Die enge Verflechtung der republikanischen Partei mit der christlichen Rechten entstand unter der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower (1953-1961). Eisenhower war tiefgläubig. Er ist bis heute der einzige US-Präsident, der sich während seiner Amtszeit taufen ließ. Eisenhower gehörte der Freikirche der Mennoniten an, die keine Kinder taufen. Die Jahre seiner Präsidentschaft markieren den Höhepunkt einer neuen christlichen religiösen Welle in den USA.
Zwischen 1940 und 1960 stieg die Zahl der wöchentlichen Kirchgänger in den USA von 49 auf 69 Prozent. Das hatte auch stark mit dem Einfluss von Erweckungspredigern wie dem Baptistenpastor Billy Graham zu tun, der mit Massenevangelisierungen und über das Radio ein Millionenpublikum erreichte. Graham wurde Eisenhowers "spiritueller Berater." Die Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht führte zu einer "Religionisierung" der amerikanischen Politik und des öffentlichen Lebens. So ließ der Präsident die Phrase "eine Nation unter Gott" dem Treuegelöbnis beifügen und sorgte dafür, dass der Satz "In Gott vertrauen wir" ("In God We Trust") auf die Dollarscheine kam und das offizielle Motto der Vereinigten Staaten wurde.
Ein Grund für die stetige religiöse Aufladung der amerikanischen Politik in den 1950er Jahren war der Kalte Krieg. Eisenhower sprach in religiöser Sprache von einem Kreuzzug gegen den gottlosen Kommunismus und stilisierte den Systemwettbewerb zum Konflikt zwischen Gut und Böse hoch. Der christliche Glaube wurde mit dem Kapitalismus gleichgesetzt und mit diesem zum Bollwerk amerikanischer Freiheit und Demokratie gegen den Totalitarismus der Sowjetunion verklärt. Der christliche Glaube, so die Interpretation des Präsidenten, garantierte die Freiheit des Einzelnen. Ab Eisenhowers Amtszeit galt die Religiosität republikanischer Präsidentschaftskandidaten als ein Gradmesser ihrer antikommunistischen Haltung. Wer nicht öffentlich seinen tiefen Glauben bekundete, stand im Verdacht, Sympathie für die Kommunisten zu hegen.
Die Antibabypille als Angriff
Die gesellschaftlichen Umbrüche der 1960er Jahre, allen voran die sexuelle Revolution, wurden von vielen in der christlichen Rechten als direkter Angriff auf ihre tradierten Wertvorstellungen gesehen. Die Antibabypille und die Forderung der feministischen Bewegung nach Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper lösten einen regelrechten Kulturkrieg aus. Feministinnen wie Betty Friedan und Gloria Steinem waren das Feindbild der Evangelikalen, aber auch der katholischen Kirche. So machten die Kirchen den Feminismus für die sinkende Zahl der Kirchenbesuche und die wachsende Schar außerehelicher Kinder verantwortlich.
Nichts mobilisierte die christliche Rechte aber mehr als die drohende Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die schließlich in der Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA im Jahr 1973 im Fall "Roe gegen Wade" Realität wurde. Wie kaum etwas anderes befeuert diese richterliche Entscheidung den Kulturkampf in den USA bis zum heutigen Tag. Sie ist neben den Waffenrechten der Hauptgrund, warum republikanische Wähler mit der Aussicht auf zusätzliche Richterposten am Supreme Court für ihre Partei nach wie vor effektiv mobilisiert werden können. "Roe gegen Wade" wurde ab den 1970er Jahren der Schlachtruf für eine neue, radikalere christlich-rechte Bewegung, angeführt von TV-Predigern wie Pat Robertson und Jerry Falwell, dessen Sohn Jerry Falwell Jr. ein großer Unterstützer von Donald Trump ist.
Kampf ums Oberste Gericht
Die christliche Rechte buhlte in den 1980ern verstärkt um direkten politischen Einfluss. Sie unterstützte den Republikaner Ronald Reagan im Wahlkampf von 1980 gegen den Demokraten Jimmy Carter, selbst ein erzkonservativer Christ, weil Reagan das Versprechen abgab, nur Abtreibungsgegner auf Richterposten zu setzen. Reagan hielt sich allerdings nicht an die Abmachung. Die christliche Rechte stieg dann bis zum Ende der 1980er Jahre zu einem der wichtigsten Wählerblöcke in der republikanischen Partei auf und war für den kulturellen Rechtsruck der Partei verantwortlich. Unzufrieden mit der Politik von George Bush senior, einem angeblichen "Flip-Flopper" in Abtreibungsfragen, formierte sich in den 1990er Jahren die christliche Rechte in verschiedene fundamentalistische Interessengruppen, die sich zum Ziel setzten, einen ihrer Kandidaten ins Präsidentschaftsamt zu heben. Mit Erfolg: George W. Bush wurde 2000 mit ihrer tatkräftigen Unterstützung gewählt. Doch auch er enttäuschte die Evangelikalen: Obwohl er Abtreibungsgegner in politische Spitzenpositionen hievte, wurde in seiner Amtszeit die "Roe gegen Wade"- Entscheidung nicht gekippt.
Das kontroverse Urteil bleibt das Hauptmotiv dafür, dass die christliche Rechte Donald Trump die Treue hält. Ihr simples Kalkül: Je mehr Richterposten mit Abtreibungsgegnern besetzt werden, desto größer ist die Chance, dass das Urteil aufgehoben wird. Die Bestellung der einer charismatischen Bewegung angehörenden Katholikin Amy Coney Barrett an den Obersten Gerichtshof ist ein wichtiger Etappensieg. So lange Abtreibung in den USA auf Bundesebene legal ist, so lange wird die Allianz zwischen republikanischer Partei und christlicher Rechten Bestand haben. Weitere Fototermine mit Bibeln scheinen also programmiert.