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Donald Trump und die österreichische Neutralität

Von Peter Hilpold

Gastkommentare

Gastkommentar: Anders als in der Flüchtlingspolitik wird sich bei der Verteidigung kein EU-Mitgliedstaat auf Dauer unsolidarisches Verhalten erlauben können.


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Der unerwartete Ausgang der US-Wahlen hat in Europa - mehr noch als in den USA - zum Versuch einer Neupositionierung in der Welt geführt, die unmittelbar Wellen in Österreich geschlagen hat. Wenn die EU nicht länger Trittbrettfahrerin der US-Verteidigungspolitik sein kann, stellt sich sofort die Frage nach Österreichs Rolle im Kontext europäischer Verteidigungsanstrengungen. Damit wird verständlich, dass die Forderung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach einer europäischen Verteidigung sofort zu entsprechenden Stellungnahmen höchster heimischer Regierungsstellen geführt hat. Im Zentrum stand wiederum das mysteriöse Konzept der österreichischen Neutralität - deutlich erkennbar wurden aber auch die vielen Baustellen der EU-Verteidigungspolitik und die Frage, in welchem Verhältnis dazu Österreichs Sicherheitspolitik steht.

Bekanntlich ist eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik erst im Aufbau begriffen. Sie führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat. Diese ist damit immer noch ein politisches Fernziel, bis zu dem noch viele Hürden zu überwinden sind. Anders als in der europäischen Flüchtlingspolitik wird sich hier kein Mitgliedstaat auf Dauer unsolidarisches Verhalten erlauben können. Die Karten sind hier auch ganz anders gemischt: Jene Staaten Mittel- und Osteuropas, die sich am nachhaltigsten einem wirksamen Ausbau der europäischen Asylpolitik widersetzen, fordern nun am lautesten Solidarität in der Verteidigungspolitik ein. Dies zeigt: Eine europäische Solidarität muss eine übergreifende sein. Beschränkt auf einzelne Felder leistet sie nur dem Vorwurf Vorschub, die EU sei allein ein Instrument zur Bedienung von Partikularinteressen.

Österreich zwischenden Fronten

In diesem Prozess steht Österreich zwischen den Fronten, denn die großen sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen die EU steht und zu denen auch die Flüchtlings- und Asylpolitik zählt, sind eng verknüpft mit der europäischen Verteidigungspolitik. Hier aber steht das Neutralitätsdogma jeder vertieften Auseinandersetzung mit dieser Thematik und letztlich auch jedem wirksamen österreichischen Beitrag zum Ausbau dieser Politik diametral entgegen.

Dabei überzeugen die rechtlichen Vorbehalte gegen eine umfassende Beteiligung Österreichs an einer europäischen Verteidigung schon lange nicht mehr. Bei einer nüchternen Analyse hatten sie von Anfang an kein solides Fundament. Welche Rolle soll der Neutralität im System der Vereinten Nationen überhaupt noch zukommen? Sicherlich nicht jene, einem UN-Mitgliedstaat die Mitwirkung an Verteidigungsmaßnahmen zu untersagen, die ganz im Sinne des UN-Rechts sind. Oder extremer noch: einer Beteiligung an Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII entgegenstehen.

Das Konzept der Neutralität wurde in einer Zeit geschaffen, die radikal verschieden war von jener nach 1945, die von der Geltung des UN-Rechts geprägt ist. Die Neutralitätsrhetorik bediente zwar auch noch danach verschiedenste politische Interessen - wie etwa jene Österreichs in seiner Rolle als Puffer zwischen hochmilitarisierten Verteidigungsblöcken. Die dabei geschaffenen Rechtskonstrukte bewegten sich aber in vielem im (völkerrechts-)
leeren Raum. Sie waren für Österreich bequem - wurde damit doch ein Verteidigungsbudget auf Sparniveau möglich - und für die EU duldbar -, da ja ein erhöhter Verteidigungsbeitrag Österreichs ohnehin kaum ins Gewicht gefallen wäre. Das EU-Recht nach Lissabon schien diesem und verschiedenen anderen Wünschen nach wie auch immer definierter Neutralität in einer Ausnahme von der Beistandsverpflichtung gemäß Artikel 42 Absatz 7 mit der "irischen Klausel" Rechnung zu tragen. Nach überwiegender Auffassung entbindet diese aber nicht vollends von Solidaritätsverpflichtungen in der Verteidigung. Damit war eine Grauzone geschaffen worden, die sich umso deutlicher zu einer effektiven Beistandsverpflichtung aufhellt, je unmittelbarer die Bedrohungslage wird.

Mehr Verantwortungfür Europa

Nun wird befürchtet, dass Donald Trump als US-Präsident Europa an die Wahrnehmung von mehr Verantwortung in Verteidigungsfragen gemahnen und größere Nähe zu Wladimir Putins Russland suchen wird. Damit werden größere eigenständige Verteidigungsanstrengungen Europas erforderlich, die aber wohl ohnehin unvermeidbar gewesen wären.

Welche Rolle soll hier Österreich zukommen? Rechtlich stünde einer umfassenden Beteiligung an einer gemeinsamen Verteidigung wahrscheinlich kaum etwas im Wege. Auch einer gemeinsamen Verteidigung der EU sind nämlich völkerrechtlich klare Grenzen gesetzt: Sie muss sich im Rahmen des UN-Rechts bewegen, das auch für das neutrale Österreich gilt. Selbst wenn man einem Neutralen nach wie vor die Beteiligung an Verteidigungsbündnissen untersagen wollte (und damit einer sehr traditionellen, um nicht zu sagen antiquierten beziehungsweise überholten Neutralitätskonzeption anhinge), müsste man gleichzeitig zugeben, dass die Neutralität im Kampf gegen Terrorismus ohnehin nicht greift. Zumindest in diesem - immer wichtiger werdenden - Bereich könnte Österreich damit ungehindert an einer gemeinsamen Verteidigung mitwirken.

Kein Interesse anheiklen Diskussionen

In dieser für die EU geradezu existenziellen Frage im internationalen Gefüge ist allerdings davon auszugehen, dass den übrigen Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen wenig an dogmatischen Diskussionen mit Österreich gelegen ist. Grundsätzlich besteht auf kein Interesse, in innenpolitisch heikle Diskussionen - wie jene zur Neutralität in Österreich - einzugreifen. Es kommt auf das Resultat "unter dem Strich" an. Der Fortbestand der EU wird angesichts der sich abzeichnenden internationalen Rahmenbedingungen somit ein Mehr an Solidarität innerhalb der Union bedingen, und dieser Entwicklung kann sich auch Österreich nicht entziehen.

Der aktuelle Stand der neutralitätsrechtlichen beziehungsweise -politischen Diskussion lässt eine sachliche völkerrechtliche Auseinandersetzung in Österreich kaum zu. Keine Partei kann es sich leisten, die Neutralität offen in Fragen zu stellen. Umgekehrt kann aber auch Österreich kein Interesse haben, eine gemeinsame Verteidigung zu verhindern.

Damit wird wohl ein differenzierter Ansatz erforderlich: Die bereits bestehende, punktuelle Mitwirkung an Europas Verteidigungspolitik wird zu erweitern sein und Österreich auf anderem Wege verstärkt "kompensatorische" Solidarbeiträge andenken müssen. Im Gegenzug kann sich Österreich aber auch vielfältige überdurchschnittliche Leistungen, wie bei der Bewältigung des Asyl- und Flüchtlingsproblems oder in der Entwicklungszusammenarbeit, anrechnen lassen.

Zum Autor

Peter Hilpold

ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck. Er ist Autor von mehr als 200 Publikationen, darunter "Solidarität und Neutralität im Vertrag von Lissabon - unter besonderer Berücksichtigung der Situation Österreichs".