)
Während die US-Truppen im Irak drei Monate vor den geplanten Wahlen teils erfolgreich versuchen, die sunnitischen Widerstandsnester Samarra und Falluja mit Dauerbombardements unter ihre Kontrolle zu bringen, folgt in der Hauptstadt Bagdad ein Rückschlag nach dem anderen. Am Montag schlugen die Aufständischen gleich zweimal zu: Die Bilanz der beiden Bombenexplosionen: Mindestens 16 Tote. Zu Anschlägen kam es auch in anderen Teilen des Irak. Die Freilassung der beiden französischen Geiseln ist indes gescheitert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bagdad war am Montag erneut Schauplatz blutiger Anschläge. Am Morgen sprengte ein Selbstmordattentäter sein mit Sprengstoff beladenes Auto neben dem Regierungsviertel, der Grünen Zone, in die Luft. Ziel war eine Polizeistation, vor der sich mehrere Iraker angestellt hatten, die sich für den Sicherheitsdienst bewerben wollten. 12 Männer wurden getötet, über 70 zum Teil lebensgefährlich verletzt. Knapp eine Stunde später riss, ebenfalls mitten im Zentrum, eine vor einem US-Konvoi detonierte Bombe vier Menschen in den Tod. Ob sich unter den Opfern nur Passanten oder auch US-Soldaten befanden, war zunächst unklar. Ein dutzend Menschen wurde verletzt. Auch in der nordirakischen Stadt Mossul forderte ein Anschlag mindestens sieben Menschenleben. Unter den Opfern waren zwei Kinder, denn der Sprengsatz detonierte nahe einer Volksschule. Eine Granate riss im Zentrum von Bakuba einen Iraker in den Tod. Zudem wurde im Irak ein Mitarbeiter des irakischen Wisenschaftsministeriums erschossen.
Angriff auf Falluja-Stellungen Ins Visier der US-Armee geriet indes neuerlich die von radikalen Sunnitengruppen kontrollierte Stadt Falluja. Die US-Luftangriffe, bei denen allein seit Montagnacht mindestens elf Iraker starben, galten nach Militärangaben ausschließlich Aufständischen-Stellungen. Getötet wurden jedoch auch vier Kinder und drei Frauen.
Große Opfer unter der Zivilbevölkerung hatte es zuvor auch bei dem Dauerbombardement der Widerstandshochburg Samarra gegeben. Die USA wollen dort nur 125 Rebellen getroffen haben, Spitäler berichteten jedoch auch von Dutzenden zivilen Opfern (und hunderten Flüchtlingen). Das rund 100 Kilometer nördlich von Bagdad liegende Samarra, in dem sich rund 1.000 Aufständische verschanzt haben sollen, gilt nach mehrtägigem Beschuss und dem anschließendem Sturm von Bodentruppen als weitgehend bezwungen. Das Militär kontrolliert seit dem Wochenende nach eigenen Angaben bereits 70 Prozent der Stadt.
Als nächstes soll nun Falluja zurückerobert werden. Dort werden u.a. der Jordanier Abu Mussab al-Zwarkawi und seine gefüchtete radikal-islamische Terrorgruppe Tawhid wal Jihad vermutet, die für die Ermordung mehrerer ausländischer Geiseln verantwortlich sind. Bis Jahresende will das US-Militär nach eigenem Bekunden den Islamistengruppen auch ihre Bastion Ramadi entreißen.
Hintergrund ist das Bemühen der US- sowie der irakischen Regierung, zumindest in weiten Teilen des Irak die in drei Monaten anstehenden Wahlen durchführen zu können und damit Zweifel an deren demokratischen Legitimimation zu zerstreuen.
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte sich kürzlich mit seiner Aussage, er sei schon zufrieden, wenn die Wahl in mehreren Provinzen stattfände, herbe Kritik seitens der UNO und mehrerer irakischer Geistlicher eingeholt. Umso größer ist nun der Druck auf die USA, das seit Beginn der US-Invasion rebellierende Sunnitendreieck zu befrieden. An dem Wahltermin Ende Jänner wollen sowohl Washington als auch Iraks Übergangsregierung unbedingt festhalten. Allen Unkenrufen zum Trotz: Beobachter halten dies vor allem deshalb für unrealistisch, weil die USA bisher nicht einmal die Hauptstadt Bagdad unter Kontrolle brachten. Dort haben sich in den letzten Wochen die Angriffe der Rebellen im Gegenteil noch verstärkt. "Freie und faire Wahlen müssen im gesamten Irak und ohne Ausnahmen stattfinden", forderte gestern der schiitische Großayatollah Ali al-Sistani.
Ausländische Geiseln getötet, Debatte in Frankreich
Im Irak wurden laut dem TV-Sender Al Arabiya zwei ausländische Geiseln getötet. In einem von ihren Entführern, den "Kämpfern Gottes", ausgestrahlten Video hatten der in Italien lebende Unternehmer irakischer Abstammung, Al Anwar Wali, und der Türke Yalmaz Dabja, erklären müssen, im Dienste westlicher Geheimdienste zu stehen. Danach wurden sie erschossen.
Nach dem gescheiterten französischen Vermittlungsversuch zur Freilassung der entführten Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot wird auch um deren Leben gebangt. Der UMP-Abgeordnete Didier Julia bekräftigte, die Freilassung sei gescheitert, weil die USA den Konvoi, in dem sich auch die beiden französischen Geiseln befanden, beschossen hätten. Sechs Geiselnehmer sollen dabei ums Leben gekommen sein.
Julia will heute nach Paris zurückfliegen und dem Parlament die Hintergründe seiner Bemühungen darlegen,wie er in einem am Montag ausgestrahlten Telefoninterview des Rundfunksenders Europe-1 erklärte. Seit Tagen hatte er zusammen mit dem Geschäftsmann Philippe Brett an der französischen Diplomatie vorbei versucht, die Entführten frei zu bekommen. Nach französischen Medienberichten wurde Julia bei seiner Aktion von Syrien und Cote d'Ivoire unterstützt. Die französische Regierung hatte gewarnt, die Initiative Julias könne die Bemühungen der Regierung und damit die Geiseln gefährden. Die gescheiterte Aktion stieß quer durch das politische Spektrum auf dementsprechend scharfe Kritik. Die oppositionellen Sozialisten kündigten an, die französische Regierung heute Nachmittag im Plenum der Nationalversammlung zu der Affäre zu befragen. UMP-Fraktionschef Bernard Accoyer kritisierte Julias Vorgehen als "unverantwortlich und gefährlich".
Unklar war am Montag weiterhin auch das Schicksal der von der Zarkawi-Gruppe entführten britischen Geisel Ken Bigley. Eine kuwaitische Zeitung berichtete, dass der Ingenieur an eine andere irakische Entführergruppe übergeben worden sei. Die britische Botschaft in Bagdad konnte den Bericht vorerst nicht bestätigen.