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Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler - im Interesse Österreichs?

Von Max Haller

Gastkommentare
Max Haller, geboren 1947 in Sterzing, ist emeritierter Professor für Soziologie der Universität Graz und Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er führt seit Jahren gemeinsam mit Astat und Apollis in Bozen Studien zur gesellschaftlichen Situation in Südtirol durch. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Man kann ein fragwürdiges Verhalten durch Verweis darauf, dass auch andere es praktizieren, noch lange nicht rechtfertigen.


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In seinem Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" vom 2. August empfahl der deutsche Journalist Reinhard Olt Österreich, den Südtirolern möglichst rasch die Doppelstaatsbürgerschaft zu verleihen. Dabei wurde ein klares Feindbild ausgemacht: Italien. Das Land verleihe seinen eigenen "ethnischen" Volksgenossen im Ausland (Slowenien, Südamerika) die italienische Staatsbürgerschaft, verweigere Österreich jedoch, den gleichen Akt für die Südtiroler zu setzen. Ja, selbst Österreich unterwerfe sich der Diktion und Forderung Italiens, diese Maßnahme nur im Einvernehmen mit dessen Regierung zu treffen. Dagegen meinte Olt, niemand könne Österreich untersagen, "im eigenen Interesse" zu handeln und zügig die Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler, deren Vorfahren Staatsbürger von Österreich-Ungarn waren, zu schaffen.

Man kann ein fragwürdiges Verhalten durch Verweis darauf, dass auch andere es praktizieren, noch lange nicht rechtfertigen. Italien ist mit seiner nationalistischen Maßnahme in der Tat ähnlich problematischen Alleingängen von Ungarn und Rumänien vorausgegangen. Der Europarat hat 1975 mit guten Gründen empfohlen, die kollektive Verleihung von Doppelstaatsbürgerschaften zu begrenzen.

Eine solche mag zwar in individuellen Fällen durchaus begründbar sein; etwa bei Emigranten, die noch enge Kontakte zu ihrem Geburtsland aufrechterhalten. Oft aber erzeugt sie Probleme (etwa in Bezug auf den Wehrdienst), und sie bedeutet - wie die "Neue Zürcher Zeitung" kürzlich treffend feststellte - eine Umkehrung des Prinzips "keine Besteuerung ohne politische Vertretung" zu einem politischen Wahl- und Vertretungsrecht ohne Steuer- und andere Pflichten. Eine kollektive Verleihung an ganze Gruppen von Menschen in anderen Ländern ist jedoch eindeutig als nationalistischer Akt zu sehen.

Die Frage ist, in welchem Interesse Österreichs es liegen kann, den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Österreich hat sich intensiv und letztlich mit Erfolg für die Durchsetzung der Autonomie Südtirols eingesetzt; heute ist Südtirol wirtschaftlich eine der stärksten Provinzen Italiens und Nordtirol durchaus ebenbürtig. Dazu hat nicht zuletzt die Tatsache beigetragen, dass nahezu alle im Land und an den Staatsgrenzen entlang Südtirols erhobenen Steuer- und Zolleinnahmen in Südtirol bleiben beziehungsweise von Rom rücküberwiesen werden. Auch von einer "Italianisierung" Südtirols kann keine Rede sein, ebenso wenig von einer kontinuierlichen Aushöhlung der Autonomie Südtirols durch Rom.

Italien hat bis in die 1970er tatsächlich die volle Realisierung des Gruber-Degasperi-Abkommens hintertrieben. Seit der Verwirklichung des Autonomiepaketes 1972 und der Streitbeilegungserklärung durch Österreich und Italien 1992 wurde die starke Autonomie jedoch rechtlich international abgesichert und in vielen Punkten weiter konkretisiert. Mit diesen Entwicklungen sind die Interessen Österreichs im Hinblick auf Südtirol wohl eindeutig sichergestellt worden. Materiell weit gewichtigere Interessen hat Österreich, was die allgemeinen Beziehungen zu Italien, einem der wichtigsten Handelspartner, betrifft. Südtirol wird davon profitieren, wenn beide Länder eine gute Nachbarschaft pflegen.

Bei alldem sind die Wünsche der Südtiroler selbst, die doch für Österreichs Haltung und Aktivitäten maßgeblich sein sollten, noch gar nicht angesprochen. Mehrere Studien geben klare Hinweise darauf, dass die politische Zugehörigkeit zu Österreich in Form einer Staatsbürgerschaft für die allerwenigsten Südtiroler ein "Herzensanliegen" ist. Eine systematische Umfrage dazu gibt es nicht. Da würde auf jeden Fall herauskommen, dass die italienischsprachigen Südtiroler (ein Drittel der 511.000 Einwohner oder drei Viertel der Einwohner von Bozen) der Doppelstaatsbürgerschaft eher negativ gegenüberstünden. Damit würde ein neuer Keil in die Bevölkerung getrieben. Dies alles scheint die Verfechter des Doppelpasses aber nicht anzufechten.