Das Coronavirus konnte bisher aus den 28 Haftanstalten Österreichs ferngehalten werden - mit rigiden Einschränkungen. Diese werden aber Großteils von Personal und Häftlingen mitgetragen.
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Vor rund vier Wochen versuchten Häftlinge des Gefängnisses La Modelo in Bogotá einen Massenausbruch. Das Coronavirus hatte sich verbreitet, die medizinische Versorgung war aber mangelhaft. 23 Häftlinge wurden beim Aufstand getötet, 90 weitere Menschen verletzt. Gefängnisrevolten gab es auch im Iran, weil zahlreiche Häftlinge an Covid-19 gestorben waren. Auch in 30 der überbelegten italienischen Gefängnisse gab es nach dem Ausbruch der Corona-Krise Revolten mit Toten.
Der Gefahr, dass sich das Virus in den ohnehin nie aggressionsfreien Gefügen der 28 heimischen Justizanstalten mit knapp 9000 Häftlingen und 3200 Justizwachebeamten auf engstem Raum verbreitet, galt es in Österreich also rasch vorzubeugen. Ein "multiprofessioneller Einsatzstab der Generaldirektion unter Beteiligung des chefärztlichen Dienstes" tagte bereits seit 25. Februar regelmäßig, mit dem "Ziel, die Einschleppung des Virus zu verhindern", heißt es aus dem Ministerium.
Die Erlässe von Justizministerin Alma Zadic gehörten zu den ersten. Ende März kam noch ein Aufschieben des Haftantritts für Straftäter minder schwerer Verbrechen hinzu. Haftverhandlungen finden per Video oder gar nicht statt, nur in Ausnahmefällen geht es in den Gerichtssaal. Die Gefängnisse schotteten sich von dem Virus und damit von der Außenwelt ab.
Besuch per Videotelefonie
Ein Blick hinter die Mauern: Es klingt beinahe beschaulich, wenn Brigadier Peter Bevc, Leiter der Justizanstalt Klagenfurt, von seinem neuesten Projekt erzählt. Für die aktuell 324 Personen in Haft gibt es nun Videotelefonie. Man hat drei Computer dafür in der Anstalt "freigeschaufelt", nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Terminvereinbarung und wegen fehlender Mailadressen können die Häftlinge ihre Angehörigen nun wieder regelmäßig sehen anstatt sie nur zu hören.
"Überraschend war, dass viele Nichtösterreicher damit besser umgehen konnten", sagt Bevc. Häftlinge aus dem Ausland waren oft schon vor der Haft auf diesem Weg mit Verwandten in Kontakt, man werde das auch nach der Pandemie beibehalten. Für manchen Österreicher aber war es eine Premiere, sagt Bevc.
Inzwischen lebt man mit den Einschränkungen "ganz gut". Bevc dürfte dazu mit einem persönlichen Brief, den er in die 14 Sprachen "seiner" Häftlinge übersetzen ließ, auch selbst beigetragen haben. Schließlich hatte er ihnen "schon sehr massive Eingriffe" mitzuteilen. Sie reichten vom abgesagten Ausgang über das Besuchsverbot bis hin zum Schließen des Freigängerhauses. Außenarbeiter wurden in die hauseigene Landwirtschaft transferiert. In den elf anstaltseigenen Werkstätten arbeiten immer dieselben Häftlinge in kleinen Gruppen. Die zweiwöchige Quarantäne gibt es nicht nur für Neuankömmlinge, sondern auch nach Zahnarztbesuchen.
Als "kleines Dankeschön" gab es einen Schokotaler mit Piktogrammen zur Ansteckungsvorbeugung. Außerdem gab es neue Brettspiele und der tägliche Hofgang wurde von einer auf eineinhalb Stunden verlängert. Wie haben die Häftlinge reagiert? "Eigentlich sehr verständnisvoll", sagt Bevc. "Den meisten Unmut gab es bei den Besuchern, die vor verschlossenen Türen standen." Bevc spricht von einer "positiven Atmosphäre", einem gemeinsamen Kampf der Belegschaft und der Häftlinge: "Mit dem Virus haben wir einen gemeinsamen Außenfeind."
Abbild der Außenwelt
Am gefährlichsten seien - wie sonst auch - jene Häftlinge, die noch nicht wissen, wie ihr Verfahren ausgeht. Neu ist eine zweite Gruppe - und zwar Drogenabhängige auf Entzug. Jenen in Entwöhnung fehle nun der persönliche Kontakt zur Therapie, jene, die in der Haft Drogen konsumiert haben, kämen aber nun hinzu. "Der Drogenmarkt draußen ist zum Erliegen gekommen, das merkt man auch beim Schwarzmarkt in der Haft. Gefängnisse sind immer ein Abbild der Außenwelt", sagt Bevc. Therapie gebe es nun ebenfalls per Telefon. Und der Anstaltsarzt sei nun nicht nur zehn, sondern 20 Stunden da - vor allem aber zur Pandemievorbeugung.
Die Justizwache arbeite in getrennten Schichten, das sei aufwendiger, "auch die Arbeit mit dem Mundschutz", bestätigt Norbert Dürnberger, Gewerkschaftsvertreter der Justizwachebeamten. Auch er sagt: "Wir machen uns alle Sorgen um unsere Angehörigen, drinnen wie draußen." Die Aufstände in Italien seien ein "Signal gewesen, dass man vorsichtig, aber konsequent handeln muss." Er sei "sehr froh, dass das gut funktioniert hat".
Ob die Maßnahmen menschenrechtskonform sind, prüft die Volksanwaltschaft laufend mit dem Menschenrechtsbeirat. Die Einschränkungen für die Häftlinge seien "massiv"; "Wie aber der internationale Vergleich zeigt, sind sie noch verhältnismäßig", sagte Volksanwalt Werner Amon gleich nach deren Beginn. Es gebe weiterhin Kontrollen, sagt Amons Mitarbeiter Peter Kastner. Schließlich befände man sich in einem "Spannungsfeld" der Verhältnismäßigkeit. Ein Beispiel: "Neue Häftlinge dürften zwar separiert, aber nicht komplett wie in Einzelhaft isoliert werden." Kontakt zu Menschen müsse möglich sein.
Schwierige U-Haft
Die Beschwerden von Häftlingen und Angehörigen, von denen die Volksanwaltschaft "täglich einige" erhält, drehen sich nicht um reduzierten Sport, Gottesdienste oder Freigänge. "Das leuchtet ein, das wird nicht als Schikane empfunden", sagt Kastner. Ältere Insassen mit angegriffener Gesundheit wünschten sich vorzeitige bedingte Entlassungen. "Dafür fehlt aber die gesetzliche Grundlage."
Am häufigsten geht es um den fehlenden direkten Kontakt: "Die längeren Wartezeiten für Untersuchungshäftlinge auf Video- oder andere Telefonate sind für viele nicht nachvollziehbar", sagt Kastner. In laufenden Strafverfahren müssen diese wegen der Verdunkelungsgefahr von Staatsanwaltschaft und Gericht genehmigt und überwacht werden.
Tendenziell kämen von jenen mit längeren Haftstrafen weniger Beschwerden, das soziale Umfeld draußen sei oft kleiner. Und: "Bei zwanzig Jahren und mehr sieht man eine Phase mit Corona vermutlich aus einem anderen Blickwinkel", vermutet Kastner.
Das Ministerium stellte bei Inspektionen in Justizanstalten ein "der Situation entsprechendes, aber gutes Stimmungsbild bei Bediensteten und Insassen" fest. Telefonie werde im Vergleich zu 2019 um 40 Prozent mehr genutzt, Videotelefonie sei bundesweit implementiert. Wie lange die Maßnahmen noch dauern? Das prüfe man im Moment noch.
Die Haftanstalten blieben jedenfalls weitgehend Corona-frei: Das Ministerium berichtet von einer positiv getesteten Einlieferung, dank Quarantäne ohne Ausbreitung. Gewerkschafter Dürnberger spricht von vier Häftlingen, noch weniger Kollegen, ohne weitere Ansteckungen.