Wenn Eltern nicht gut Deutsch können, hat das Folgen für die Kinder.
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Wien. Als der Pole Piotr B. auf die schlechten Deutschkenntnisse seines Sohnes aufmerksam gemacht wurde, war er nicht überrascht. Aber als die Kindergärtnerin den Vorschlag machte, der Vater solle doch mit dem Sohn deutsch sprechen, dachte er, ihn trifft der Schlag, und prompt sagte er: "Wie soll ich mit meinem Sohn deutsch reden, wenn ich selbst die Sprache nicht so gut kann."
"Es ist fatal, wenn Eltern, die selber nicht gut Deutsch können, mit ihren Kindern deutsch reden", erklärt Gero Fischer, emeritierter Professor am Institut für Slawistik an der Universität Wien. Denn diese Praxis könne verschiedene Konsequenzen haben. Zum einen sei es "ein ziemlich häufiges Phänomen, dass die Menschen dann beginnen, die Sprachen zu mischen". Das könne bewusst oder unbewusst geschehen. "Wenn verschiedene Sprachen bewusst gemischt werden, kann das Gegenüber diese verstehen und vielleicht auch einen Scherz daraus machen." Problematisch sei es aber, wenn Menschen nicht anders können, weil ihnen beispielsweise Begriffe nicht einfallen, betont Fischer.
Und erzählt ein konkretes Beispiel: "Bei einem Autounfall waren Serben aus Frankreich und Serben, die in Österreich leben, beteiligt. Es war für sie unmöglich, sich zu verständigen, weil die einen französisch-serbisch und die anderen serbisch-österreichisch gesprochen haben. Beide Gruppen hatten nicht die Möglichkeit, auf das klassische Serbisch zurückzugreifen, weil sie das nicht mehr konnten, da zu Hause ein Mischmasch gesprochen wurde. Zwar wird dieser in der eigenen Community verstanden, aber nicht außerhalb."
Es kann laut Fischer fatale Folgen haben, wenn Jugendliche die Sprachen so mischen, dass sie diese nicht mehr auseinanderhalten können. Sie würden in den Bildungsinstitutionen nicht mehr klarkommen. Da diese in der Regel monolingual seien. "Dort spielt sich alles auf Deutsch ab", sagt er. Zwar könne man in gewisser Weise abhelfen, so Fischer, indem man Glossare mit Verzeichnissen in Deutsch und der jeweiligen Muttersprache herausgibt. Aber diese können nur Schüler nützen, die die Muttersprache auch ordentlich können, sonst helfe es nicht.
Erfahrungen aus Handelsakademien und Handelsschulen würden zeigen, dass viele Migrantenkinder in der Betriebslehre scheitern, "weil sie dort die Begriffe nicht verstehen." "Sie verstehen weder ihre Muttersprache noch die deutsche Sprache." "Es hapert in den abstrakteren Bereichen. Das Problem haben wir auch am Institut für Slawistik, wo durchaus Studenten damit kämpfen, eine korrekte Zweisprachigkeit aufzubauen." Nur würden diese es hauptberuflich machen, indem sie es studieren, so Fischer.
"Halbsprachigkeit nicht feststellbar"
Bei Familie Kowalski wird Deutsch, Italienisch und Polnisch bunt gemischt. Es sei einfacher so, sagt die dreifache Mutter Jadwiga. Ihre 7, 12 und 15-jährigen Kinder sprechen so, "wie es ihnen gerade passt". Doch keine dieser Sprachen würden ihre Kinder tadellos sprechen. In diesem Zusammenhang wird gerne von einer doppelten Halbsprachigkeit gesprochen.
Inci Dirim ist Professorin am Institut für Germanistik an der Universität Wien und lehrt und forscht im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Für sie ist das Phänomen "Halbsprachigkeit" nicht ohne weiteres feststellbar. "Man muss erst einmal die Frage stellen, was das überhaupt für ein Problem ist. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es so, dass eine sogenannte Halbsprachigkeit erst diagnostiziert werden müsste." Wissenschafter, die sich mit diesem Thema beschäftigen, würden nicht von einer doppelten Halbsprachigkeit sprechen. Denn zum einen sei der Begriff doppelt äußerst problematisch, wenn ein Kind eine Migrationssprache spricht. "Mit welchem Maßstab will man eigentlich feststellen, ob die ganz oder halb ist", so Dirim. Denn Sprachen würden sich in der Migration verändern. "Die Kinder begegnen in dem neuen Land ganz anderen sprachlichen Inputs. An den Schulen gibt es zwar einen muttersprachlichen Unterricht, aber der ist nicht ausreichend. Den Kindern zu wenig muttersprachlichen Unterricht anzubieten und dann zu sagen, sie sind halbsprachig in der Herkunftssprache, ist ja grotesk", meint die Professorin.
"Kinder haben kein
Problem mit Sprachen"
Weiters weist Professorin Dimri darauf hin, dass jedes Kind Sprache erwirbt, und zwar so, wie es das Kind braucht. Kinder mit Migrationshintergrund hätten kein Problem mit der deutschen Sprache. Das Problem entstehe erst dann, wenn sie in die monolingualen deutschsprachigen Institutionen eintreten. "Sie habe zwar die Sprachen erlernt, aber anders als es die Schulen es erwarten würden." Inzwischen gibt es laut Dimri zwar Förderprogramme verschiedenster Arten. "Wenn sie auch eingesetzt würden, dann würde sich die sprachliche Situation dieser Kinder stark verbessern." Dies sei aber leider nicht oft der Fall. Die Lehrkräfte in Österreich hätten zu wenig Kenntnisse über die Möglichkeiten der Sprachförderung. Die Förderprogramme würden nicht angewandt und somit würde die Sprachförderung nicht umgesetzt.
Dass es auch anders funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus Deutschland. In Hamburg gibt es laut Germanistin Dirim an jeder Schule sogenannte Sprachlernkoordinatoren. Sie führen in einem ersten Zug Sprachstandard-Erhebungen durch, stellen dann Sprachfördermodelle auf die Beine und helfen so bei Bedarf den Unterricht nicht nur fachbezogen, sondern auch sprachbezogen zu gestalten. "Jede Schule ist dort verpflichtet, einen Sprachenkoordinator zu haben", sagt sie.
Es gibt aber auch einen positiven Aspekt des Sprachenmischens. "Wir switchen sehr viel. Wenn ich das Wort Switchen benutze, dann benutze ich auch ein englisches Wort", sagt Dimri.
Das Switchen von Sprachen ist also nicht alleine auf Personen mit Migrationshintergrund bezogen. "Wenn ich etwas aus dem Englischen verwende, wird kaum etwas gesagt, und Französisch ist auch schick. Wenn das Wort aber aus anderen Sprachen entliehen wird, dann kommt das nicht so gut an."
Dabei bieten für Professorin Dimri andere Sprachen immer Anregungen für die Übernahme von Wörtern oder Grammatikregeln. "Und wenn wir das Deutsche analysieren, dann sehen wir, dass viele Grammatikregeln aus dem Lateinischen kommen. Das fällt uns gar nicht mehr auf, weil wir es nicht so genau wissen."
"Nehmen sie das Wort Nase. Das kommt auch aus dem Lateinischen. Aber wir regen uns darüber gar nicht auf. Es hat sogar einmal im Verlauf der Geschichte einen Versuch gegeben, das Wort einzudeutschen. Nur hat sich das Wort Gesichtserker dann doch nicht durchgesetzt."