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Dorado der Gartenkunst

Von Christian Hlavac

Reflexionen

Vor 140 Jahren entstanden auf der Hohen Warte in Wien die Rothschildgärten, deren Gewächshäuser und Obstplantagen als vorbildlich galten.


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Werbeplakat der Wiener Freiwilligen Rettungs- Gesellschaft, um 1910.

"Uneingeschränktes Lob muß den Pflegestätten größerer Pflanzenschätze und unter diesen vornehmlich den Pflanzenhäusern von Schönbrunn und der Rothschild’schen Gärtnerei auf der Hohen Warte, gezollt werden. (. . .) Das gartenliebende Wien möge sich glücklich schätzen, diese Gartenkulturstätte [auf der Hohen Warte, Anm.], um die die Welt es beneiden kann, in seinen Mauern beherbergen zu dürfen."<p>So lobte ein deutscher Teilnehmer des Wiener Internationalen Gartenbau-Kongresses 1927 die Rothschildgärten in Döbling. Vor allem in Gärtnerkreisen galten die dort befindlichen Nutzgärten und Glashäuser der Familie Rothschild als Pflichtexkursionsziel, wie ein Berliner Handelsgärtner 1902 in der Zeitschrift "Die Gartenwelt" festhielt: "Als Gärtner in Wien und nicht in Schönbrunn und bei Rothschild gewesen zu sein, hieße wirklich mit dem Fach gefrevelt zu haben." Im gleichen Jahr notierte Josef Gerhold in der Zeitschrift "Illustrierte Flora": "Bereuen wird es niemand, dieses Dorado der Gartenkunst besucht zu haben, denn sowohl der so herrliche im englischen Stile angelegte Park, wie die Obstgärten und die Glashauspflanzen sind einzig."

Steht bis heute: das ehemalige Pförtnerhaus der Rothschildgärten auf der Hohen Warte.
© Hlavac

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Bankhaus in Wien

<p>Zu verdanken waren diese Gärten samt Villa und Park zwei Vertretern der Familie Rothschild, deren Wurzeln sich in Frankfurt am Main bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Berühmt wurde die Dynastie durch Mayer Amschel Rothschild (1743-1812), der mit Antiquitäten und alten Münzen zu handeln begann, dann vor allem Geldwechselgeschäfte tätigte und später ein Bankhaus aufbaute.<p>Einer seiner fünf Söhne, Salomon Mayer, begründete ein Bankhaus in Wien und somit auch die Wiener Linie der Familie. Sein Enkel Nathaniel Rothschild (1836- 1905) interessierte sich kaum für das Bankgeschäft und überließ die Geschäftsführung seinem jüngeren Bruder Albert. Zwischen 1871 und 1879 ließ Nathaniel ein bestehendes Gebäude in der Theresianumgasse Nr. 14-16 (Wieden) zu einem Palais um- und ausbauen, wo er wohnte und seine Kunstsammlung unterbrachte. Eines seiner Steckenpferde war die Botanik; insbesondere exotischen Pflanzen galt seine Aufmerksamkeit. Und so verwundert es nicht, dass er sich auf der Hohen Warte für sein Hobby eine prächtige Gartenanlage errichten ließ. Im Gegensatz zu seinem Stadtpalais haben sich Reste dieser Rothschild’schen Gärtnerei auf der Hohen Warte erhalten, auch wenn es detektivisches Gespür braucht, um diese im Gelände zu finden.<p>Apropos detektivische Arbeit: Seit Jahrzehnten lässt sich eine urban legend verfolgen, die besagt, dass Nathaniel im Jahre 1849 die Gärten anlegen hätte lassen. Da Nathaniel (Jahrgang 1836) in diesem Jahr erst dreizehn Jahre alt gewesen war und zu diesem Zeitpunkt als Jude noch keine Grundstücke hätte kaufen dürfen, scheidet dieses Datum aus. Andere Publikationen sprechen von 1868, 1870, 1882 oder 1884.<p>Da sich Nathaniel Rothschild jedoch 1877 an der Jubiläumsausstellung "50 Jahre Blumenausstellungen in Wien" der k. k. Gartenbaugesellschaft beteiligt hat, dürfte die Anlegung spätestens 1877 erfolgt sein. Klarheit bringt ein Blick in das entsprechende Grundbuch: Aufgrund des Kaufvertrages vom 19. Februar 1874 und des Bescheides vom 22. Juni 1877 wurde im gleichen Jahr das Eigentumsrecht für Nathaniel Freiherr von Rothschild im Grundbuch eingetragen. Rasch wurden ein Park und Nutzgärten mit Glashäusern errichtet.<p>

Gründung der "Vienna"

<p>Bereits in den 1880er Jahren galten die Gärten als Inbegriff einer großen und beeindruckenden Pflanzensammlung, die Freiflächen und 70 Gewächshäuser umfasste. Verantwortlich für die Pflege waren zahlreiche Gärtner aus England, die Nathaniel extra anwarb. Diesen Engländern verdankt Wien den ältesten Fußballverein der Stadt, denn 1894 gründeten einige aus England stammende Rothschild-Gärtner gemeinsam mit Wiener Kollegen den ersten Wiener Fußballverein: den First Vienna Football Club. Das Training fand in der Anfangszeit unweit der Rothschildgärten auf einem improvisierten Fußballfeld statt. Erst später übersiedelte man auf jene Fläche, auf der die Vienna heute noch spielt.<p>Unter Nathaniel Rothschild wurde die Anlage auf der Hohen Warte zu einem berühmten "Wiener Garten". Bereits ab 1890 konnte man gegen eine Eintrittsgebühr den Park und die Nutzgärten samt den Gewächshäusern besichtigen: Bis 1924 sind die Öffnungstage mit Eintrittsgebühr zu Gunsten der 1881 gegründeten Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft nachweisbar. So wird im "Illustrierten Wiener Extrablatt" im Mai 1901 vermerkt: "Die Glashäuser des Freiherrn Nathaniel von Rothschild auf der Hohen Warte sind heute von 2 bis 6 Uhr Nachmittags gegen ein Entrée von 1 Krone zu Gunsten der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft geöffnet. Am letzten Besuchstage wurden diese sehenswürdigen Anlagen von mehr als tausend Personen besichtigt." Gelobt wurden damals die Rosen- und Azaleenarrangements sowie die Palmen und Farne. Aufmerksamkeit erregten auch das Kakteenhaus, die Orchideenhäuser und die Obst- und Gemüsegärten.<p>Als Nathaniel Rothschild 1905 kinderlos starb, erbte sein Neffe Alphonse (1878-1942) die Gärten auf der Hohen Warte. In den 1910er und 1920er Jahren arbeiteten auf dem 85.000 m² großen Areal zwischen 60 und 100 Gärtner, fünf Revierchefs und ein Gartendirektor, zwanzig Lehrlinge und ein Dutzend Volontäre. Zu dieser Zeit wurden von den Gärtnern in den Glashäusern unter anderem Orchideen und Veilchen kultiviert sowie Melonen, Erdbeeren, Feigen, Kirschen, Ananas, Nektarinen, Pfirsiche, Äpfel, Birnen, Bananen und Gemüse gezogen.<p>Der Park, der sich direkt an die Wirtschaftsgebäude und die Glashäuser anschloss, beeindruckte vor allem durch die großen Kastanien und Blutbuchen, einen Ginkgo und einen Mammutbaum. Von den zahlreichen exotischen Bäumen im Park, die zum Teil von einer Hamburger Baumschule geliefert wurden, haben sich noch einige erhalten.<p>

Blumen und Obst

<p>Der Hauptzweck der Gartenanlagen bestand zu Nathaniels und Alphons Zeiten darin, für die übrigen freiherrlichen Güter in Niederösterreich Blumen und Obst zu jeder Jahreszeit zu liefern. Blumen und Obst wurden täglich mit eigenen Wagen von der Hohen Warte in das Innenstadtpalais von Nathaniel gebracht oder - wenn Nathaniel auf Reisen war - nachgesendet, sofern er sich in halbwegs erreichbarer Nähe befand.<p>Überzähliges Obst und Gemüse dürfte in der Stadt verkauft worden sein. Die zweite, nicht weniger wichtige Aufgabe bestand darin, Orchideen zu züchten und in Europa zu verbreiten. Nathaniel schickte sogenannte "orchid hunters" in die gesamte Welt, um zu neuen Pflanzen zu kommen. Die Öffnung der Gärten und des Parks unter Nathaniel und Alphonse Rothschild diente erstens zur Finanzierung der von Nathaniel mitgegründeten Wiener Rettungsgesellschaft und zweitens als Präsentationsraum gärtnerischer Leistungen. Das Teehaus - später oft als Villa bezeichnet - und der umgebende Park dienten mitunter auch der Erholung der Familie und als gesellschaftlicher Treffpunkt.<p>Die österreichische Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit, zugespitzt am "Schwarzen Freitag" 1929, traf auch den österreichischen Zweig des Hauses Rothschild. Der Lebensstandard Alphonse Rotschilds wurde "einfacher", Luxus abgebaut. Dementsprechend reduzierte man auch das Gärtnerpersonal auf der Hohen Warte. Das Ende des gärtnerischen Paradieses kam jedoch erst mit dem "Anschluss". 1939 wurde das gesamte in Österreich verbliebene Vermögen und alle Grundstücke von Alphonse und seinem Bruder Louis, Chef des Bankhauses Rothschild, enteignet und zum Eigentum des Deutschen Reiches erklärt.<p>Die Grundstücke auf der Hohen Warte gingen auf Grund eines Kaufvertrages im Jänner 1943 vom Berliner Wirtschaftsministerium in das Eigentum der Stadt Wien über. Der Zweite Weltkrieg führte zu massiven Zerstörungen in den Rothschildgärten: Die rund siebzig Glas-, Treib- und Schauhäuser und die Villa wurden im März 1945 durch Bomben teils beschädigt, teils zur Gänze zerstört.<p>

Rechtsstreit

<p>Nach Kriegsende ließ das Wiener Stadtgartenamt 27 Glashäuser für Blattpflanzen wieder aufbauen. Bereits im Winter 1946/1947 wurden einige Glashäuser, in denen Orchideen aufbewahrt und Gemüse gepflanzt wurden, wieder beheizt. Die Stadt richtete nun auf einem Teil der Flächen einen Reservegarten ein. Dieser diente dazu, Pflanzen für Empfänge und andere Anlässe der Stadt Wien zur Verfügung zu stellen.<p>Über die einstigen Rothschild’schen Grundstücke auf der Hohen Warte kam es in den frühen 1960er Jahren zu einem Rechtsstreit zwischen der Sammelstelle, die das unbeanspruchte jüdische Vermögen zusammenfasste, und der Stadt Wien. Beim Rechtsstreit ging es um die Frage, ob Clarice Rothschild (eine von drei berechtigten Erben) bei einem Besuch in Wien die einst enteigneten Grundstücke auf der Hohen Warte der Stadt Wien mündlich geschenkt habe - oder nicht. Nachdem die Stadt Wien in erster Instanz verlor, verzichtete sie im April 1962 auf einen Einspruch und kaufte im August 1963 im Rahmen eines Vergleiches die Grundstücke ab.<p>Bis zum Jahre 1969 befand sich der städtische Reservegarten auf der Hohen Warte. Im Zuge der Wiener Internationalen Gartenschau (WIG) 64 konnte man dort eine Kakteenschau im Kakteenhaus und ein Palmenhaus besichtigen. Der Reservegarten wurde 1969 nach Hirschstetten übersiedelt. Im gleichen Jahr begann das Stadtgartenamt mit den ersten Arbeiten an der Umgestaltung des einstigen Privatbesitzes in eine kommunale Parkanlage.<p>Erst 1977 war der nördliche Teil der einstigen Rothschildgärten als "Heiligenstädter Park" öffentlich zugänglich. Der südlich gelegene Teil verschwand zuerst 1978 durch den Bau des Döblinger Bezirkshallenbades, dann 1988 durch das angebaute Sommerbad. Und so erinnert nur noch das Pförtnerhaus mit seinem mächtigen Tor an das einstige Dorado der Gartenkunst.

Christian Hlavac ist Gartenhistoriker und Publizist. Zuletzt erschien das Buch "Die Gartenmanie der Habsburger" (Amalthea Verlag, gemeinsam mit
Astrid Göttche, Wien 2016).