Chinas Bürger demonstrieren für Umweltschutz - die Regierung lenkt ein.
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Shifang/Peking.
"Die besten von Euch wandern aus, die schlimmsten von Euch werden erschossen", schrieb sich der berühmteste chinesische Blogger Han Han seinen Zorn von der Seele, "aber keiner von Euch lebt dort. Dort leben nur ganz einfache Leute" "Dort", das ist die 430.000-Einwohner-Stadt Shifang in der Zentralprovinz Sichuan. Und mit "Euch" schrieb der von Chinas Jugend verehrte Han Han die Beamten an die Adresse der Beamten und Offiziellen von Shifang.
"Shifang" blieb auch der meistgesuchte Begriff auf Sina Weibo, der einflussreichen Mikro-Blog-Seite im Internet, die ähnlich wie Twitter funktioniert und auf der Bürger ihre Meinung posten können.
Landesweit bekannt geworden ist Shifang durch seit drei Tagen anhaltende Bürgerproteste gegen eine Kupferraffinerie.
"Jeder hat Angst vor diesem Projekt", sagt Luo Meili, der im Restaurant seiner Familie in der Industriezone von Shifang - unweit jener Stelle, wo das Kupfer-Werk geplant war. "Das wird die Gesundheit unserer Familien beeinträchtigen. Ich glaube nicht an die Beteuerungen der Regierung."
Nach Angaben der International Finance Corp, ein Finanzierungsinstrument der Welt Bank, das ähnliche Projekte in aller Welt finanziert, werden bei der Kupfergewinnung die Gifte Quecksilber, Arsen, Schwefeldioxid und andere höchst schädliche Stoffe frei.
Schon am Montag war es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Umweltaktivisten und den Sicherheitskräften gekommen, als einige unter den tausenden Protestierern Polizeiautos demolierten und versuchten, Gebäude der Stadtverwaltung zu stürmen. Die Polizei feuerte Tränengasgranaten auf die Demonstranten und verhaftete 27 Aktivisten, denen vorgeworfen wurde, Türen und Fenster eines Verwaltungsgebäudes demoliert und Wurfgeschosse gegen Polizisten eingesetzt zu haben.
Am Mittwoch lenkte die Stadtverwaltung ein, legte das 1,6-Milliarden-Dollar-Projekt (1,3 Milliarden Euro) der in Shanghai gelisteten Aktiengesellschaft Sichuan Hongda vorerst auf Eis und ordnete die Freilassung von 21 der Verhafteten an. Dennoch dauerten die Demonstrationen an: Rund 100 Bürger der Stadt versammelten sich vor dem Parteisekretariat der Kommunistischen Partei, Herr Chen, einer der Protestierer, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: "Die Menschen warten darauf, dass die Regierung Ernst macht mit der Ankündigung, das Werk nicht zu bauen."
Die Geburt von Chinas Umweltbewegung
Sollte das Projekt vom Tisch sein, dann wäre das bereits der dritte bedeutende Sieg umweltbewegter Bürger gegen eine Stadtverwaltung innerhalb eines Jahres. Im August 2011 gingen in der ostchinesischen Hafenstadt Dalian 12.000 Menschen auf die Straße, um gegen ein Chemiewerk, in dem hochgiftiges Paraxylene (PX) hergestellt wird, zu demonstrieren. In der südchinesischen Stadt Haimen in der Provinz Guangdong verhinderten Bürgerproteste im Dezember 2011 erfolgreich die Erweiterung eines Kohlekraftwerks.
Nach Jahren des halsbrecherischen Wirtschaftswachstums im Reich der Mitte steigt das Bewusstsein für Umwelt- und Lebensqualität - vor allem bei den urbanen Mittelschichten.
Die chinesische Führung muss diese Proteste sehr ernst nehmen - erst recht 2012, im Jahr des Macht- und Generationswechsels an der Spitze von Staat und Partei, der ja im Herbst über die Bühne gehen soll: Im Regierungsbezirk Zhongnanhai in Peking stehen die Spitzenkader der Partei vor der Aufgabe, vom bisherigen Kurs Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste abzurücken, aber weiter Jobs zu schaffen und gleichzeitig die Stabilität im Land zu wahren.