Seit nunmehr 18 Jahren ist Udo Jesionek Präsident des Jugendgerichtshofs in Wien. Damit ist der heute 63-jährige Honorar-Professor für Jugendstrafrecht an der Uni Linz der dienstälteste unter den Gerichtshofpräsidenten. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erläuterte Jesionek, was ihm an der geplanten Reform des Jugendstrafrechts entbehrlich erscheint und wie er über drogenfreie Städte denkt.
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"Wiener Zeitung": Sie haben in letzter Zeit die geplante Herabsetzung der vollen Strafmündigkeit auf 18 Jahre massiv kritisiert. Was sind die Gründe ihrer Ablehnung?
Jesionek: Nicht nur ich lehne das ab. Ich kenne kaum jemanden, der das vertritt.
Die Begründung liegt in denspeziellen Problemen des heranwachsenden Jugendlichen. Die hat ein 19-Jähriger genauso wie ein 18-Jähriger. Das Jugendstrafrecht ist diffiziler als das Erwachsenenstrafrecht, es differenziert stärker nach der Art des Delikts und der Notwendigkeit der Reaktion. Das ist nicht milder, das ist effektiver und sinnvoller.
"WZ": Jetzt ist ein Argument, das die Befürworter ins Treffen führen, dass es sich bei der Herabsetzung lediglich um eine Angleichung an die Volljährigkeit im Zivilrecht handelt...
Jesionek: Es ist ein völliges Missverständnis, Volljährigkeit mit vollem Einsatz des Erwachsenenstrafrechts in Zusammenhang zu bringen. Es ist bekannt und wissenschaftlich belegbar, dass sich der Jugendbereich sogar etwas hinauf verschoben hat. Damit meine ich nicht die Selbstständigkeit im wirtschaftlichen Bereich. Typisch für Jugenddelikte sind Spontanität, unüberlegte Handlungen, Gruppenzwang.
Da gibt es zuhauf Schwierigkeiten, mit denen Jugendliche schlechter fertig werden als Erwachsene: sei es eine kaputte Beziehung oder eine Scheidung der Eltern, Nicht-Einsteigen-Können ins Berufsleben.
Deswegen ist auch ganz Europa mit Ausnahme von drei Staaten dazu übergegangen, ein Heranwachsenden-Strafrecht für Jugendliche zwischen 18 und 24, manchmal auch bis 25 einzuführen, das es den Richtern erlaubt, auf den Entwicklungsstand des Jugendlichen einzugehen. In Österreich passiert derzeit genau das Gegenteil.
"WZ": Wie beurteilen Sie die im Reformpaket vorgesehenen Begleitmaßnahmen?
Jesionek: Die genannten Maßnahmen bestehen in einem vage gefassten Milderungsgrund, der eine ganze Menge auslässt. Schauen Sie, das wesentliche am Jugendstrafrecht ist ja nicht unbedingt die Halbierung der Strafsätze. Sondern es geht um die Begleitmaßnahmen: Diversion mit dem größeren Anwendungsbereich, vereinfachte Tilgungsvorschriften, die Möglichkeit des erweiterten Strafaufschubs, spezifischer Jugendvollzug mit seinen Möglichkeiten.
Außerdem - und das ist mir das wichtigste - werden im Jugendstrafrecht vor dem Urteil Erhebungen durch Jugendgerichtshilfe und Sozialämter durchgeführt. Aufgrund dieser Informationen durch Psychologen und Sozialarbeiter kann der Richter dann entscheiden, ob er eine Strafe oder eine der speziellen Maßnahmen verhängt.
"WZ": Worin liegt die Bedeutung all dieser Instrumente?
Jesionek: Spezialprävention. Nur durch diese Instrumente kann man so reagieren, dass die Hoffnung berechtigt ist, dass der Jugendliche künftig nichts mehr anstellt, er nicht mehr rückfällig wird. Hie und da gibt es natürlich auch Fälle, wo die Gesellschaft so empört ist, dass man auch generalpräventiv etwas unternehmen muss.
"WZ": Was denken Sie, ist der Hintergrund dieser Reformierung?
Jesionek: Ich denke, im Hintergrund steht die Meinung der Leute, dass je strenger die Strafe, umso geringer die Kriminalität ist. Nur stimmt das leider nicht.
"WZ": Sollte es am Ende dann überhaupt keine Strafen mehr geben?
Jesionek: Strafe muss schon sein - wenn Sie so wollen. Aber Strafe muss vor allem sinnvoll sein. Man ist ja heute auch davon abgegangen, Kinder Scheitelknien zu lassen, mit dem Lineal zu züchtigen oder sonst irgendwie zu demütigen.
"WZ": Gibt es eine Möglichkeit, das Drogenproblem in den großen Städten zu lösen?
Jesionek: Diese Möglichkeit sehe ich nicht. Es ist in der ganzen Welt noch nicht gelungen, eine drogenfreie Stadt zu schaffen. Wenn solches plakatiert wird, finde ich das erstens dumm und zweitens gemein, weil es den Leuten vorgegaukelt, es gäbe so ein Rezept. Wenn es jemanden gibt, der so ein Rezept hat, dann sollen Sie es bitte auf den Tisch legen. Dann wird die ganze Welt aufschreien vor Freude.
Gesprächspartner von Udo Jesionek war Matthias G. Bernold.