Ein kafkaesker Roman über den Iran.
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Eine Nacht und einen Tag hat der Colonel noch zu leben. In der Nacht muss er seine jüngere Tochter begraben, heimlich, so will es der Staat. Zwei seiner Söhne sind tot, der dritte hat die Realität längst verlassen, jene Realität, in der seine Genossen von der Tudeh-Partei für den Sturz des Schahs kämpften, anschließend Säuberungen innerhalb der Linken durchführten und schließlich selbst zu Opfern des theokratischen Regimes wurden.
Aber was ist schon real, wenn die Märtyrer von gestern zu den Verrätern von heute werden, wenn sich die Wertschätzung der Obrigkeit im Umgang mit den Ermordeten so zeigt: "Es war dem Colonel bewusst, dass man ihm gegenüber eine besondere Achtung erwiesen hatte. Nicht jeder bekam für sein totes Kind einen Sarg und einen Krankenwagen."
Und ist der Colonel ein Held, weil er sich weigerte, den Aufstand im Oman niederzuschlagen, wie es die USA und Großbritannien 1973 verlangten? Oder ist er bloß ein Verbrecher, der seine Frau wegen eines Ehebruchs ermordete?
Mahmud Doulatabadi wertet nicht, er berichtet von einem blutigen Pandämonium, in dem nur jene überleben, die rasch genug die Seiten wechseln. "Die politische Polizei ist wie die Religion. Hast du jemals erlebt, dass die Religion ausgerottet wurde?", erklärt der Folterknecht des Schahs einem ehemaligen Gefangenen.
Das Original dieses kafkaesken Romans liegt bei der Zensurbehörde in Teheran. Deutschsprachige Leser aber können hier einen Erzähler vom Format eines Gabriel García Márquez oder Salman Rushdie kennen lernen.
Mahmud Doulatabadi: Der Colonel. Roman. Übersetzt und mit einem Nachwort von Bahman Nirumand. Unionsverlag, Zürich 2009, 223 Seiten, 19,90 Euro.