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Dow und Carbide: Zwei alte Bekannte fusionieren

Von Steve James, New York

Wirtschaft

Mit Dow Chemical und Union Carbide wollen zwei US-Chemiekonzerne mit sehr bewegter Vergangenheit fusionieren. Beide haben eine mehr als 100 Jahre alte Tradition, beide wurden in den USA durch ihre | Alltagsprodukte sehr bekannt · und beide standen öfter im Mittelpunkt von Skandalen.


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Dow war einer der Produzenten des im Vietnam-Krieg eingesetzten und später als hochgiftig entlarvten Entlaubungsmittels Agent Orange. Union Carbide war Mitbetreiber eines Chemiewerkes im indischen

Bhopal, wo es 1984 zu einer katatsrophalen Sxplosion kam. Beide Konzerne standen wegen angeblich gesundheitsschädigender Brust-Implantate mehrmals vor Gericht.

Vorige Woche hatten die beiden Unternehmen bekannt gegeben, sie wollten sich in einer Großfusion im Wert von umgerechnet 148 Mrd. Schilling zum zweitgrößten Chemiekonzern der Welt · nach DuPont · mit

49.000 Mitarbeitern und 24 Mrd. Dollar Jahresumsatz zusammenschließen. Damit treffen sich auch in der Führungsetage alte Bekannte wieder. "Wir kennen einander schon seit 20 Jahren", sagten die Chefs

der Konzerne in einem gemeinsamen Telefoninterview mit Reuters. Bereits im vergangenen November habe Dow-Chef William Stavropoulos seinem Amtskollegen bei Union Carbide, William Joyce, die

Möglichkeit einer Firmenehe vorgeschlagen. Bis Mai dieses Jahres seien aus dieser Idee ernsthafte Fusionsgespräche erwachsen. Mit anderen Kandidaten hätten sie nicht gesprochen, betonten sie. Es sei

schwer, den richtigen Partner zu finden. Nun hätten sie "die erste Wahl getroffen".

Dow Chemical und Union Carbide verbindet vieles. Beide Konzerne sind in den USA mit populären Markennamen wie "Ziploc"-Frischhaltebeuteln oder "Eveready"- und "Ucar"-Batterien berühmt geworden. Noch

bekannter sind die Firmen weltweit allerdings wegen der negativen Schlagzeilen, die sie immer wieder schrieben. Dow Chemical avancierte in den 60er Jahren wegen der Produktion des Vietnam-Giftes

Agent Orange zum Feind der US-Friedensbewegung. Dow sei der "Inbegriff des militärisch-industriellen Komplexes" und der Bösewicht einer ganzen Generation gewesen, erinnern sich ehemalige Aktivisten

heute. Von 1962 bis 1971 versprühte das US-Militär über Vietnam mehr als 86 Mill. Liter des für Menschen schädlichen Entlaubungsmittels, um den Feind besser sehen zu können. 1984 zahlte Dow mit den

anderen Produzenten von Agent Orange 180 Mill. Dollar an US-Kriegsveteranen, die wegen Gesundheitsschäden geklagt hatten.

Nach Vietnam ergab sich für Dow ein neues Krisengebiet. 176.000 Frauen beschuldigten den Konzern, über sein Gemeinschaftsunternehmen Dow Corning gesundheitsschädigende Brustimplantate herzustellen.

Es wurden Schadensersatzgelder in Milliardenhöhe gezahlt.

Auch Union Carbide trägt schwer an seinen Altlasten. Das in Connecticut beheimatete Unternehmen bekam ebenfalls Probleme mit Brust-Implantaten, für die es das Silikon geliefert hatte. Der für das

Unternehmen schwerwiegendste Vorfall war jedoch die Giftkatastrophe im indischen Bhopal. Der Name der Unglücksortes wurde ebenso wie Seveso und Tschernobyl zum Synonym für Umweltkatastrophen. Union

Carbide hielt 51% an dem Pestizid-Werk, in dem bei einer Tankexplosion fünf Tonnen hochgiftiges Methyl-Isocyanat-Gas freigesetzt wurden. 6.500 Menschen starben, 20.000 wurden verletzt. Fünf Jahre

später zahlte Union Carbide 470 Mill. Dollar Schadensersatz.