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Draghi gibt’s noch billiger

Von Hermann Sileitsch

Politik

EZB erwägt Kreditbündel für KMU und Strafgebühr für Banken, die Geld parken.


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Bratislava. Geldoperationen gelungen - aber dem Patienten geht es nicht besonders: Die Europäische Zentralbank (EZB) war am Donnerstag mit außergewöhnlichen Umständen konfrontiert. Nicht so sehr, weil die Ratssitzung in der Slowakei stattfand. Es ist üblich, dass die EZB zwei Mal im Jahr außerhalb Frankfurts tagt. Vielmehr hat sich die wirtschaftliche Lage gedreht. Den Finanzmärkten geht es besser, dafür ist die Stimmung der Realwirtschaft am Boden. Und zwar nicht nur an der sogenannten "Euro-Peripherie". Auch der Ausblick für "Kernländer" wie Deutschland sei schlecht, räumte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag ein.

Bisher galt die Hauptsorge der Notenbanker der Schuldenkrise: Die Zinsen auf Staatsanleihen stiegen für kriselnde Euroländer scheinbar unablässig. Ein Land nach dem anderen lief Gefahr, seine Altlasten und Neuschulden nicht mehr über den Kapitalmarkt finanzieren zu können. Diese Sorgen über Staatspleiten in Serie sind vorerst gebannt - die Ankündigung des italienischen EZB-Chefs von Sommer 2012, alles Nötige zu tun, um dergleichen zu verhindern, hat Wunder gewirkt. Für Staatspapiere aus Spanien, Portugal und Italien wurden am Donnerstag die niedrigsten Zinskosten seit mehr als einem Jahr verzeichnet.

Allerdings stecken weite Teile der Währungsunion in einer hartnäckigen Rezession. Weil die Teuerung im April zurückging, sah die EZB genügend Spielraum für die (von den meisten Marktteilnehmern erwartete) Senkung der Zinsen auf ein historisches Tief - von zuvor 0,75 auf nunmehr 0,5 Prozent. Offenbar gab es im EZB-Gremium Stimmen, die gegen eine Zinssenkung waren. Andere hätten sogar einen noch größeren Schritt befürwortet. Ein tieferer Leitzins sollte eigentlich der Wirschaft auf die Sprünge helfen. Die Bankeinlagen von Sparern verlieren dadurch künftig noch mehr an Kaufkraft, dafür werden Kredite billiger. Damit sollten der Konsum und Investitionen angekurbelt werden. Soweit die Theorie.

In der Praxis gibt es Zweifel, ob die Flut billigen Geldes dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Die Geldpolitiker scheinen fast am Ende ihrer Weisheit, wenn es darum geht, Klein- und Mittelbetrieben in Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien zu helfen, die von den Banken keine oder nur völlig überteuerte Kredite erhalten und dadurch zu Tausenden in den Ruin getrieben werden.

Draghis Banken-Frust

Wie bewertet Draghi, dass die Banken das Geld kaum an die Unternehmen weitergeben: Ob ihn das frustriere, wurde er gefragt: "Ich würde nicht . . . oder ja, ich würde schon das Wort frustriert verwenden, sicherlich", antwortete er. In Europa würden Kredite schließlich zu 80 Prozent über die Banken zur Verfügung gestellt. Die EZB könnte von den Geldinstituten zwar eine Strafgebühr verlangen, wenn sie das Geld bei ihr parken anstatt es weiterzureichen. Derzeit erhalten die Banken keine Zinsen dafür. Mit einem negativen Einlagenzinssatz würde Neuland bestritten, Draghi schloss diesen Schritt nicht mehr aus. Es könnte aber negative Begleitfolgen geben, deshalb arbeite man noch an Vorbereitungen.

Wegen der Kreditklemme in einigen Ländern arbeitet die EZB zudem mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) an Neuerungen: Kredite für Klein- und Mittelbetriebe (KMU) sollen zu besicherten Wertpapieren gebündelt werden (im Fachjargon "Asset backed securities"/ABS). Vielen Banken gelten KMU-Kredite nämlich als zu riskant. Diese sind im Bündel gestreut - und es würde ein handelbares Wertpapier daraus. Die Pikanterie daran: Intransparente ABS-Papiere, in denen wertlose Hypothekenkredite versteckt waren, gelten als eine Hauptursache für die US-Immobilienkrise, die 2007 am Anfang der derzeitigen Malaise stand. Deshalb ist der Markt momentan tot. ABS seien schlecht beleumundet, gab Draghi zu. Allerdings gebe es auch sichere und transparente Formen. Darauf, dass die EZB solche Papiere kaufen könnte, wollte er sich nicht festlegen lassen.

Indirekt bestätigte der Italiener, dass die Finanzkrise mindestens bis Juli 2014 andauert: Solange wird die Zentralbank den Banken unbegrenzt Geld zu fixen (Billig-)Zinskonditionen zuteilen - sofern sie die nötigen Sicherheiten aufbringen. Draghi nannte das eine "Versicherung für Banken". Die Angst vor Finanzierungsengpässen sei somit keine Ausrede für eine Kreditverknappung. Solange sich Banken auf die Rundum-Geld-Garantie verlassen können, kann man nicht von einer Normalisierung der Geldpolitik sprechen. Und schon gar nicht vom Ende der Krise.

Sparkurs "nicht gefährden"

"Sparen versus Wachstum" - zu dieser "interessanten Debatte" (Draghi) über die richtige Wirtschaftspolitik erinnerte der EZB-Chef, dass die nicht nachhaltige Budgetpolitik viele Staaten überhaupt erst in die Bredouille gebracht hatte. "Gefährdet nicht die schon erreichten Fortschritte in der Sanierung", appellierte er eindringlich. Weil die Konsolidierung das Wachstum kurz- und mittelfristig abschwäche, sei die Umsetzung entscheidend. Leider, so Draghi, hätten in der akuten Not viele Staaten auf die einfachere Politik und rasche Steuereinnahmen gesetzt, anstatt bei unproduktiven Staatsausgaben zu sparen: Da sei es "kein Wunder", wenn das Wachstum leide.

EIB
(hes) Die Europäische Investitionsbank fungiert als "Hausbank" der EU und ist die erste Ansprechadresse für KMU-Kredite. 2012 wurden von der EIB und dem Europäischen Investitionsfonds 13 Milliarden Euro an Krediten für Projekte von kleinen und mittelgroßen Unternehmen vergeben. Für 2013 sind nach einer EIB-Kapitalerhöhung 15 Milliarden Euro geplant – Projekte im Volumen von 4,2 Milliarden sind bewilligt und praktisch umsetzungsreif. Die EIB betont stets, allen EU-Staaten zu gehören – man könne Euro-Krisenländern also nicht bevorzugt behandeln. Seit Juli 2009 kann sich die EIB wie andere Banken Geld direkt bei der EZB leihen – was bisher nur für "Testzwecke" genutzt wurde: andere Finanzquellen seien "günstiger und flexibler".