Der neue Premier in Rom und Brüssel, das geht zusammen. Doch die Rolle Italiens in der EU muss neu definiert werden.
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Es ist noch nicht lange her, da war Italiens Stand im europäischen Gefüge klar umrissen. Das Gründungsmitglied der Union galt neben Deutschland, Frankreich und Großbritannien als eine der tragenden Säulen, auf höchster Ebene hatten Italiener das Sagen: Antonio Tajani als Parlamentspräsident, Federica Mogherini als Hohe Außenbeauftragte, Mario Draghi als EZB-Chef. Im EU-Parlament folgte mit David Sassoli immerhin ein Landsmann nach, die anderen Jobs gingen verloren. Italien, wirtschaftlich und infolge der Pandemie stark angeschlagen, findet sich in einer geschwächten Position wieder.
EU-Gelder dringend gebraucht
Trotzdem bekommt Italien von allen Ländern den höchsten Betrag, bis zu 209 Milliarden Euro, aus dem vergangene Woche endgültig beschlossenen Recoveryfonds. Bis Ende April müssen die Projekte eingereicht sein, das wird der Lackmustest für Draghi. In seiner alten Funktion als EZB-Chef hatte er sich immer wieder für Sparreformen in Italien ausgesprochen und für einen weniger lockeren Umgang mit den Mitteln. Dabei geht es etwa um das flexible Pensionsantrittsalter; in diesem Punkt dürfte der neue Premier eher auf der strengeren EU-Linie sein, macht sich damit aber Feinde im rechten Lager, das damit auf Stimmenfang gegangen war.
Italien wartet dringend auf die EU-Gelder, hat sich auch einen wesentlichen Anteil am mit 100 Milliarden Euro dotierten Kurzarbeitsprogramm "Sure" gesichert. So wie andere Länder auch will das Land aber ein Anzapfen der ESM-Mittel vermeiden, die schon davor bereitgestanden wären. Der "europäische Rettungsschirm" (Europäischer Stabilitätsmechanismus) wird argwöhnisch betrachtet, weil die Länder nicht wollen, dass sich die "griechische Tragödie" wiederholt. Man würde sich über diese Finanzmittel der Gefahr aussetzen, dass man sich eine Troika ins Land holt, Kontrolleure und Pfennigfuchser von Währungsfonds, EZB und Kommission.
Italien unter der Fuchtel der EU: Das wäre Wasser auf die Mühlen der Populisten, ob sie nun in der wankelmütigen Fünf-Sterne-Bewegung sitzen oder in Salvinis Lega. Zunächst aber ist es dem neuen Premier gelungen, einen wesentlichen Teil der Euroskeptiker auf seinen neuen Weg einzustimmen. Draghi weiß das und er kann zum Start auf Rückhalt in der EU bauen. Dort gilt er als "echter Europäer", wie es der deutsche Finanzminister Olaf Scholz am Montag ausdrückte. In Italien habe sich wieder eine pro-europäische Regierung formiert, freute sich Scholz: "Draghi ist Experte in Fiskalpolitik und bestens vernetzt", so Scholz, der auch davon überzeugt ist, dass Rom nun schnellstens das Reformpaket für den Einsatz des Recoveryinstruments erarbeiten werde.
"Außergewöhnlicher Gewinn für ganz Europa"
Tatsächlich hat Draghi schon umrissen, dass ihm die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und die Stärkung der Infrastruktur ein Grundanliegen ist. Am Mittwoch nannte Draghi als Priorität seiner Regierung zudem die Förderung der Jugend. Und: Italien müsse mithilfe der EU-Hilfsgelder das Wachstumspotenzial seiner Wirtschaft stärken. Innovation, ökologischer Wandel, Bildung und soziale Gerechtigkeit sowie Stärkung des Gesundheitssystems seien die strategischen Ziele. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte jedenfalls schon zuvor geschwärmt, Draghis langjährige Erfahrungen würden ein "außergewöhnlicher Gewinn für Italien und ganz Europa" sein.
In der Tat muss Italien nicht nur im Inneren, sondern auch in der Außenwirkung einiges aufholen. Nur allzu präsent ist der vier quälende Tage dauernde EU-Budgetgipfel im vergangenen Juli, bei dem das Wiederaufbaupaket geschnürt wurde. Eines der Hauptargumente der Bremser - allen voran die "frugalen Vier" mit Österreich im Mittelpunkt - war die Befürchtung, die erstmalige Aufnahme von Schulden durch die EU würde früher oder später auf eine Vergemeinschaftung der alten Staatsschulden von Mitgliedsländern hinauslaufen. Explizit wurde Italien genannt; dieser Bruch, der die Linien zwischen dem "reichen Norden" und dem "armen Süden" markiert, ist noch nicht verheilt.
Das Schicksal Italiens ist eng mit dem Schicksal der EU verknüpft. "La Repubblica" sah die Personalie schon mal in glänzender Perspektive: "Merkel, Macron und von der Leyen hätten sich auch Draghi ausgesucht." Ihm sei zuzutrauen, dass er nun jene Reformen auf Kurs bringt, die dem Land den so nötigen Aufschwung und der EU eine Sorge weniger einbringt.