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Drahtseilakt

Von WZ-Korrespondentin Sonja Blaschke

Politik

US-Präsident Barack Obamas Asien-Reise steht im Zeichen vielfältiger regionaler Rivalitäten.


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Tokio. US-Präsident Barack Obamas einwöchige Asienreise beginnt mit einem Drahtseilakt. In einer Region, in der die Spannungen zwischen den Nachbarn in den letzten Jahren wieder stark gestiegen sind, muss er einerseits seine Bündnispartner Südkorea und Japan davon überzeugen, dass die USA im Konfliktfall weiter hinter ihnen stehen. Gleichzeitig muss er einen so ausgewogenen Ton anschlagen, dass sich die aufstrebende Weltmacht China, die für die USA ein wichtiger Wirtschaftspartner ist, nicht noch mehr in die Enge gedrängt fühlt als ohnehin schon. Noch während Obama auf dem Weg nach Japan war, sprachen chinesische Staatsmedien davon, dass er China "in einen Käfig sperren" wolle - gemeint ist: Südkorea und Japan noch stärker als bisher auf die amerikanische Seite ziehen. Ob Obama das so bald gelingt, ist fraglich. Zu uneins sind sich die ostasiatischen Regierungschefs untereinander. Daran hat auch der japanische Premierminister Shinzo Abe Anteil, der in den letzten Monaten mit nationalistisch geprägten Aktionen immer wieder dafür gesorgt hat, dass US-Regierungsvertreter zum Hörer griffen, um ihm ins Gewissen zu reden.

Schon Tage vor der Ankunft Obamas war die japanische Hauptstadt Tokio spürbar nervös. An Bahnhöfen wurden zum ersten Staatsbesuch eines US-Präsidenten in Japan seit 1996 die Abfalleimer zugeklebt und Schließfächer außer Betrieb gesetzt. Nach seiner Ankunft am Mittwochnachmittag kommt Obama am Donnerstag mit Premierminister Abe zu einem Gipfeltreffen zusammen. Es wird mit Spannung erwartet, auch, weil ihr Verhältnis als distanziert und von Misstrauen geprägt gilt.

Streitschlichter

Viel Zeit, Höflichkeiten auszutauschen, werden sie nicht haben. Sie müssen eine Reihe sicherheitspolitischer, strategischer und wirtschaftlicher Fragen klären. Abe hofft, dass sich die USA klar zu ihrer militärischen Allianz mit Japan bekennen. Für Obama ist das Gipfeltreffen ein weiterer Baustein seiner Strategie, die Rolle der USA in Asien auszubauen: Er versucht sich als Streitschlichter zwischen Südkorea und Japan, um dadurch den unsichtbaren Dritten, der bei allen Gesprächen im Raum sein wird, diplomatisch im Zaum zu halten: China. Im Vorfeld sagte Obama gegenüber der japanischen Zeitung "Yomiuri": "Wir begrüßen den fortgesetzten Aufstieg von einem China, das ausgeglichen, florierend und friedlich ist und das eine verantwortungsvolle Rolle in globalen Angelegenheiten übernimmt." Gleichzeitig betonte Obama: "Unsere Verbindung mit China wird nicht zu Lasten von Japan oder anderer Bündnispartner gehen."

Aussagen wie diese heißt man in Japan willkommen, wo in den letzten Monaten immer wieder Zweifel aufkamen, ob man auf die Hilfe der USA im Fall eines militärischen Zwischenfalls, etwa mit China oder Nordkorea, weiter zählen könne. Umgekehrt bereitete den USA die Tatsache Sorgen, dass sich Abe, der sich zu Beginn seiner Amtszeit sehr pragmatisch gab und vor allem darauf setzte, Japans Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, wieder stärker von rechtskonservativen Interessen leiten lässt. Mehr denn je brauchen die USA Japan als verlässlichen Bündnispartner, erst recht vor dem Hintergrund eines erstarkenden Chinas.

Zu den bilateralen Verstimmungen trug bei, dass der bekennende Nationalist Abe Ende Dezember 2013 den umstrittenen Yasukuni-Schrein im Zentrum Tokios besuchte. Dort werden neben im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten Männer verehrt, die als Kriegsverbrecher gelten. China und Südkorea betrachten das als Affront. Sie unterstellen, dass Japan seine imperialistische Vergangenheit wiederaufleben lassen will. Beide können und wollen nicht vergessen, dass Japan ihre Länder angriff und teils kolonialisierte. Im Dezember sollen die USA versucht haben, Abe in einem einstündigen Telefonat von dem Schrein-Besuch abzuhalten - vergeblich. Nur wenige Stunden danach reagierten die USA mit einer Erklärung, dass man von Japan "enttäuscht" sei, ein Indiz dafür, dass ein solcher Schritt schon seit längerem erwartet wurde.

Trotzdem gingen kurz vor Obamas Ankunft in Tokio am Mittwoch, 23. April, wieder rund 150 Abgeordnete und Kabinettsmitglieder zum Yasukuni-Schrein - mit den üblichen Reaktionen bei den asiatischen Nachbarn. Abe verzichtete dieses Mal und schickte wie immer ein Geschenk. Doch das dürfte ausreichen, um die USA erneut zu verärgern. Dabei hatte noch Ende März Obama am Rande des Atomsicherheitsgipfels in Den Haag die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye und den Abe zu einem offiziellen Gespräch zusammengebracht, das erste dieser Art, obwohl sie beide bereits über ein Jahr im Amt sind. Zu dritt diskutierten sie über die regionale Sicherheit im Hinblick auf Nordkorea und seine Raketen- und Nukleartests, ließen jedoch den Kern ihres Konflikts außen vor.

Park und Abe stammen beide aus konservativen politischen Dynastien, denen sie sich verpflichtet fühlen: Parks Vater war Präsident von Südkorea, Abes Großvater Nobusuke Kishi war japanischer Premierminister. So überrascht es kaum, dass im Kern ihres Konflikts zwei historische Themen stehen: Neben territorialen Streitigkeiten um eine Insel, die Südkorea Dokdo und Japan Takeshima nennt, geht es immer wieder um die Frage der "Trostfrauen". So beschönigend nannte man in Japan Frauen, vor allem Südkoreanerinnen und Chinesinnen, die von der japanischen kaiserlichen Armee im Zweiten Weltkrieg in die Prostitution gezwungen wurden. Von mehreren hunderttausend ist die Rede. Premier Abe sagte jedoch erst vor wenigen Wochen, er wolle die "Kono-Erklärung", eine Entschuldigung für die Zwangsprostituierten, noch einmal untersuchen, mit anderen Worten, sie rückgängig machen. Doch auf Druck der USA nahm er davon inzwischen wieder Abstand. Immer wieder scheint Abe testen zu wollen, wie weit er
gehen kann, um Japans Profil als eigenständige - von den USA unabhängige - Nation zu schärfen, ohne die USA dauerhaft zu verprellen.

Brisanter Inselstreit

Das könnte er nicht riskieren, schon allein vor dem Hintergrund eines weiteren Konflikts um Inseln, die von China, Japan und Taiwan beansprucht werden. Lange lag die ungeklärte Lage der Inselgruppe, die die Japaner Senkaku und die Chinesen Diaoyu nennen, zugunsten von wichtigeren Themen, wie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, auf Eis. Doch inzwischen arbeiten beide Seiten an ihrem nationalen Selbstbewusstsein. Der Inselstreit gibt ihnen eine willkommene Ausrede dafür, ihr Militär zu modernisieren und das Budget dafür zu erhöhen. Abe kann Kritikern entgegenhalten, dass sich in einem solchen sicherheitspolitischen Umfeld nicht mehr rechtfertigen lässt, dass Japan, wie in seiner pazifistischen Verfassung von 1947 in Artikel 9 festgeschrieben, nur eine "Selbstverteidigungsarmee" hat. Ginge es nach Abe, würde er diesen Artikel ändern. Da dies jedoch politisch schwierig ist, arbeitet er derzeit an der nächstbesten Lösung: einer Neuinterpretation der Verfassung. Sie würde ermöglichen, dass Japan zum Beispiel Bündnispartnern wie den USA helfen kann, würden diese angegriffen - ein Schritt, den die Vereinigten Staaten durchaus begrüßen. Kritiker sehen darin jedoch einen Schritt zurück in die militärische wie imperialistische Vergangenheit Japans.

US-Präsident Obama muss bei seinem Japan-Besuch den Spagat schaffen, sich und die USA nicht mehr also ohnehin schon von Japan in die territorialen Konflikte hineinziehen zu lassen, seinem Bündnispartner aber andererseits auch klar Unterstützung zu demonstrieren. Das ist auch für seinen eigenen Status als Staatsmann wichtig: Denn als Russland kürzlich die Krim annektierte und die USA bisher nicht nennenswert eingriffen, fragten sich viele asiatische Bündnispartner, wie die USA wohl reagieren würden, wenn China auf einmal bestimmte Gebiete annektierte.