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Neue Bezahlmodelle und Hinwendung zu kleineren Titeln sollen finanzielle Erleichterung bringen - stoßen aber auf Kritik der Spieler.
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Paris. Das Aufatmen dürfte in der Pariser avenue de Friedland geräuschvoll ausgefallen sein: Binnen eines Tages wurden nicht weniger als 3,5 Millionen Exemplare des Videospiels Diablo III verkauft. Ein Rekordwert, den sich der US-Spieleentwickler Blizzard und dessen französischer Eigentümer, der Pariser Medienkonzern Vivendi, an die Fahnen heften dürfen. Und doch sind Rekordergebnisse wie dieses gerade gut genug. Denn so rasant der Umsatz der Spieleindustrie in den vergangenen Jahren auch gestiegen ist, so unvorhersehbar bleibt das Geschäft: Oft reicht ein Fehlschlag, um selbst Branchenriesen ins Wanken zu bringen.
Es ist ein Markt, der den Unternehmensberatern PricewaterhouseCoopers (PwC) und den Marktforschern Gartner zufolge über 56 Milliarden Dollar schwer ist, an wirtschaftlicher Bedeutung Musikindustrie und Magazingeschäft überflügelt hat und längst am Unterhaltungsprimat der Filmindustrie rüttelt. Und das Ende der Fahnenstange ist längst nicht erreicht: Bis 2015 soll das Geschäft mit Videospielen schneller als sämtliche anderen Medienbereiche wachsen und nach Daten von PwC ein Umsatzvolumen von 82, Gartner zufolge zumindest 75 Milliarden Dollar erreichen.
Großer Umsatz, kleiner Gewinn
Optimistische Umsatzprognosen, die auch den großen Playern am Markt, Electronic Arts (EA), Ubisoft und der Vivendi-Tochter Activision-Blizzard nicht fremd sind. Während Electronic Arts im abgelaufenen Geschäftsjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum eine Umsatzsteigerung von 15 Prozent melden konnte und Activision-Blizzard eine Steigerung von rund 7 Prozent verzeichnete, konnte Ubisoft immerhin noch mit 3,9 Prozent aufwarten.
Wie knapp in der Branche ungeachtet dieser Umsatzzuwächse kalkuliert werden muss, offenbart allerdings ein Blick auf die Gewinne der drei großen Konzerne. So beendete Branchenprimus EA das Geschäftsjahr mit einem Plus von 76 Millionen, während Ubisoft einen Nettogewinn von gerade einmal 37,3 Millionen Dollar auswies. Nur Activision-Blizzard durfte jubeln: Der Nettoerlös verdoppelte sich auf die Bestmarke von 1,08 Milliarden Dollar.
Activision-Blizzard muss zittern
Rekordgewinn im Vorjahr, Rekordverkaufszahlen dank Diablo III - und doch ist auch bei Activision-Blizzard, der Nummer zwei im Geschäft, nicht alles eitel Wonne. Denn dass Diablo III gerade rechtzeitig kam, untermauert das jüngste Quartal auf beeindruckende Weise: Der Einbruch des Geschäfts mit bloß einem Titel der breiten Produktpalette, dem Abo-Rollenspiel "World of Warcraft" (WoW) um 35 Prozent hatte einen schlagartigen Umsatzrückgang der gesamten Firmengruppe um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal nach sich gezogen und auch den Gewinn um 24 Prozent schrumpfen lassen.
Und auch Diablo III offenbart auf den zweiten Blick erhebliche Risiken für die Firmengruppe: Zwar wurde das Spiel von der Fachpresse einhellig gelobt und legte einen tollen Verkaufsstart hin, allerdings vermiesen überdurchschnittlich viele Serverausfälle gerade in Europa Tausenden Käufern, die aufgrund des Online-Zwangs nur bei aktiven Servern spielen können, den Spielspaß. Die langfristige Kundenbindung darf als gefährdet betrachtet werden.
Eine markante Entwicklung, die beileibe kein Einzelfall ist: So hatte EA neidischen Blickes auf Activision-Blizzards (bisherige) Cash-Cow WoW in den Konkurrenztitel "Star Wars: The Old Republic" (SWTOR) mehr investiert als in jedes andere Spiel zuvor. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen - die das Spiel trotz hoher Qualität und guter Presse nicht erfüllen konnte. Nach anfänglicher Begeisterung sprangen zahlreiche Abo-Spieler bald wieder ab - was EA nun gleich mehrere Quartale verhageln dürfte. Bereits im jüngst abgelaufenen Vierteljahr sank der Gewinn um 33, der Umsatz um zwei Prozent. Hauptverantwortlich dafür: wiederum die enttäuschende Performance eines einzelnen Titels.
Kleine Spiele als Zukunftsperspektive
Die Spieleindustrie hat die Risiken freilich längst erkannt und bemüht sich derzeit intensiv um die Diversifizierung des Angebots. Gerade im stark wachsenden Markt für kleinere Browser- und Smartphone-Spielen lancieren die großen Branchenverterter mutige Offensiven - und werden dafür vereinzelt bereits belohnt. So kehrte Ubisoft im Jahrsbericht den überdurchschnittlich hohen Beitrag des vergleichsweise kleinen Browser-Spiels "Die Siedler Online" zum Ergebnis hervor. Konzern-Chef Yves Guillemot frohlockte: "Ubisoft erzielte einen 90-prozentigen Anstieg des Ergebnisses der laufenden Geschäftstätigkeit [...], ein Erfolg, der vor allem durch den starken Wachstum bei Online-Umsätzen erreicht wurde."
Umstrittene Spielmodelle
Kritiker fürchten, dass angesichts dieser Hinwendung der Produzenten zu kleineren Titel die Qualität der Spieleprodukte leiden könnte. Auch die in der Industrie immer beliebteren Bezahl- und Veröffentlichungsmodelle, wie die Aufsplittung von einzelnen Spielen in mehrere kostenpflichtige Häppchen oder das gerade bei Browserspielen verbreitete System, den Spielern eine Basisvariante gratis zur Verfügung zu stellen, für Zusatzelemente, die den Spielerfolg fördern, aber Gebühren zu verlangen, ist heftig umstritten.
Ob sich die Spieleindustrie mit derartigen Modellen und Produktstrategien aus ihrer notorisch brisanten Geschäftssituation befreien kann, ist daher ungewiss. Bisher sind Spieler offenbar tatsächlich bereit, für mobile Titel, Browserspiele und stückchenweise veröffentlichte größere Spiele tief in die Tasche zu greifen. Von einem dauerhaften Aufatmen der gesamten Branche kann derzeit jedenfalls noch keine Rede sein.