Warum die italienische Regierung vorerst eine harte Asyl-Politik und Hafenblockaden beibehält.
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Rom. Man kennt die Szenen aus dem Mittelmeer. Ein mit Migranten beladenes Schiff einer Hilfsorganisation bittet um Einfahrt in einen italienischen Hafen. Aus Rom kommt ein deutliches "Nein". So wurde die Einfahrt jedes Rettungsschiffes zu einem Politikum erster Ordnung. Ex-Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega hatte einen Großteil der Italiener im Rücken und pöbelte über die sozialen Netzwerke gegen Nichtregierungsorganisationen, Migranten und die EU.
Seit nun einer Woche ist die neue Innenministerin Luciana Lamorgese im Amt. Immer noch fahren Rettungsschiffe mit Migranten übers Mittelmeer und bitten um Einfahrt. Die Ocean Viking lag am Donnerstag mit 82 Migranten vor Malta und wartete auf ein Signal aus Rom oder La Valletta. Aber da kam - nichts. Keine Philippika gegen irgendwen auf Twitter oder Facebook, aber eben auch keine Einfahrtsgenehmigung. Obwohl die nun mit der Fünf-Sterne-Bewegung regierenden Sozialdemokraten einen Kurswechsel in der Migrationspolitik versprochen hatten.
Unerwartete Probleme
Dieser Kurswechsel ist offenbar schwieriger zu bewerkstelligen als erwartet. Denn die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung hat die radikale Anti-Migrationspolitik in der 14 Monate dauernden und im August geplatzten Koalition mit der rechten Lega mitgetragen. Vor nicht einmal sechs Wochen hatten die Sterne das zweite Sicherheitsdekret Salvinis im Parlament abgesegnet, darin wurde unter anderem festgelegt, dass der Verstoß gegen die Hafenblockade mit einer Strafe von bis zu einer Million Euro geahndet werden kann.
Wie in Rom zu hören ist, schweigt die parteilose Innenministerin Lamorgese, die sich einst als Präfektin von Mailand für eine ausgewogene und humane Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen hatte, auch aus politischer Rücksicht auf die Fünf-Sterne-Bewegung. So sei es mit Premier Giuseppe Conte abgesprochen. Wie es heißt, wolle sich die Regierung der Entschärfung der Sicherheitsdekrete erst im Winter widmen, wenn die Überfahrten im Mittelmeer drastisch zurückgehen. So wird in Rom offenbar derzeit kalkuliert. Ein schnelles Ende der Blockade-Politik ist trotz des Regierungswechsels nicht in Sicht.
Sterne-Politiker geben zu Bedenken, man könne nicht einen Monat später eine krasse Kehrtwende hinlegen ohne unglaubwürdig zu werden. Außerdem, so heißt es, würde man auf diese Weise Ex-Innenminister und dem jetzigen Oppositionsführer Salvini nur eine Vorlage geben. Der plant bereits Großdemonstrationen gegen die Regierung und sagte: "Mal sehen ob die Regierung die Häfen öffnet, das wäre ein ganz schlechtes Signal". Die Überfahrten würden dann wieder zunehmen, behauptet Salvini. Knapp Zweidrittel aller Italiener zeigten sich zuletzt einverstanden mit den Hafenblockaden. Eine Kehrtwende der Fünf-Sterne-Bewegung ist deshalb erst einmal nicht zu erwarten.
Wie aber sollen die Sozialdemokraten des PD dieses Versteckspiel ihren Wählern vermitteln? Parteichef Nicola Zingaretti hatte für die Ocean Viking vergeblich einen offenen Hafen "ohne wenn und aber" gefordert. "Man kann Menschen nicht unendlich lang im Meer lassen", sagte er im italienischen TV am Mittwochabend. Auch die Nichtregierungsorganisationen protestieren gegen die leise Fortsetzung der menschenunwürdigen Blockade-Politik. "Die EU-Staaten müssen sich über ihre eigene Verantwortung klar werden, die sie bei der Traumatisierung dieser Menschen spielen, deren Landung in einem sicheren Hafen ohne Grund verzögert wird", sagte Luca Pigozzi von Ärzte ohne Grenzen.
Verhandlungsmasse in Brüssel
Dabei gibt es einen zweiten, vielleicht noch wichtigeren Grund für das stille, aber hartnäckige Aufrechterhalten der Blockaden. Rom nutzt die ultraharten Salvini-Regeln als Verhandlungsmasse in Brüssel. Dort verlangte Premier Conte bei seinem Besuch am Dienstag einen neuen Deal, der bei einem Treffen der Innenminister am 23. September unter anderem aus Italien, Deutschland, Frankreich und Malta auf La Valletta festgezurrt werden soll. Italiens Ziel ist ein fester Verteilungsmechanismus der Ankömmlinge durch eine "Allianz der Willigen" statt mühsamer Ad-Hoc-Lösungen. Wer nicht aufnimmt, soll zumindest bezahlen, fordert Conte. In der Folge könnten die Blockaden aufgehoben werden.
Wie die Tageszeitung Corriere della Sera berichtete würde Italien sich bereit erklären, zehn Prozent der ankommenden Migranten aufzunehmen, Deutschland und Frankreich je ein Viertel. Die Frage ist, welche Länder die verbleibenden 40 Prozent der Migranten aufzunehmen bereit sind. Ein kritischer Punkt ist zudem der Umgang mit nicht-asylberechtigten Migranten, die bisher in den Hotspots in Italien oder Malta verblieben. Italien fordert auch deren automatische Verteilung. Die Grenzschutzagentur Frontex solle sich dann um Abschiebungen kümmern.