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Drama um Krankenschwestern zeigt: Gaddafi ist ein Bösewicht geblieben

Von Michael Schmölzer

Analysen

Seit der Freilassung der zum Tode verurteilten bulgarischen Krankenschwestern wird der libysche Machthaber Muammar Gaddafi von den westlichen Regierungen regelrecht hofiert. Flogen dem Oberst 1988 noch US-Bomben um die Ohren, ist jetzt laut Washington der Weg für eine weitere Verbesserung der Beziehungen frei.


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Vor allem in Europa kennt die Dankbarkeit keine Grenzen. Kaum hat Cécilia Sarkozy das nordafrikanische Land mit den befreiten Bulgarinnen verlassen, besteigt ihr Mann, der französische Staatspräsident, eine Maschine nach Tripolis, um über Geschäfte zu reden. Die EU will mit ihrem Geld libysche Krankenhäuser auf Vordermann bringen und spricht von einer neuen Partnerschaft. Bulgarien - im Freudentaumel - hat Libyen einen möglichen Schuldenerlass in Aussicht gestellt.

Und das alles, obwohl Gaddafi bei näherem Hinsehen immer noch der gleiche Bösewicht ist, als der er in den 80er-Jahren international geächtet worden war. Zwar hat Libyen die Verantwortung für das Lockerbie-Attentat übernommen und Bußgeld bezahlt - die schrittweise Aufhebung der US-Sanktionen waren die Folge. Doch hätte der Westen genauer hinhören sollen, als der libysche Oberst im April 2004 in Paris ein brisantes Bekenntnis abgelegt hat: Er bereue nicht, was er in der Vergangenheit getan habe, sagte Gaddafi damals. Wenn der Westen meine, er sei ein Terrorist gewesen, dann sei er stolz auf diese Etikettierung. In Wirklichkeit habe es sich bei seinen Aktivitäten um einen Freiheitskampf gegen die alten Kolonialmächte gehandelt.

In der Tat hat Gaddafi in den letzten Jahren keinen Wandel zum Guten unternommen. Seine Vorgangsweise in der Angelegenheit der bulgarischen Krankenschwestern verdient die Bezeichnung "terroristisch": Zuerst wurden die katastrophalen sanitären Zustände in dem Spital von Bengasi "ausländischen Mächten" - also den völlig unschuldigen Krankenschwestern - in die Schuhe geschoben.

Das geschah, um nicht selbst die Verantwortung für die 460 HIV-infizierten Kinder übernehmen zu müssen und dem Volkszorn ausgesetzt zu sein. Dann wurden die Krankenschwestern acht Jahre lang unter unmenschlichen Bedingungen in Gefangenschaft gehalten. Und schließlich hat der libysche Oberst die Europäische Union erpresst, um einen möglichst hohen Preis für die Geiseln herauszuschlagen.

Die EU, die sich offiziell auf den Handel eingelassen hat, sendet damit an Terroristen und autoritäre Regime das Signal, dass sich Geiselnahmen auszahlen.

Eine Ursache für das merkwürdige Verhalten der EU ist, dass man auf Libyen nicht verzichten will. Da sind einmal die großen Ölreserven, die westliche Investoren locken. Außerdem ist die EU in der Frage der illegalen afrikanischen Einwanderung nach Europa auf die Kooperation mit Gaddafi angewiesen.