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Drama von Kunduz: Ein verheerender Befehl - viele ranghohe Mitwisser?

Von Michael Schmölzer

Analysen

Karl-Theodor zu Guttenberg steht vor einer schwierigen Aufgabe: Der deutsche Verteidigungsminister muss seinen Soldaten in | Afghanistan erklären, warum er einen von einem deutschen Offizier angeordneten, verheerenden Luftschlag erst als richtig und dann in einer einzigartigen Kehrtwende als falsch bezeichnet hat.


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Es geht dabei um die von dem deutschen Oberst Georg Klein in der Nacht des 3. September befohlene Zerstörung von zwei Tanklastern aus der Luft, bei der mehr als 100 Zivilisten getötet und verletzt wurden, darunter viele Kinder. Der Angriff war angeblich nötig, weil Gefahr bestand, dass die von Taliban gekaperten Fahrzeuge als rollende Bomben eingesetzt würden.

Der Oberkommandierende der Nato-Truppen in Afghanistan, General Stanley McChrystal, hatte den Soldaten kurz zuvor eingeschärft, dass der Krieg nur mit Unterstützung der afghanischen Zivilbevölkerung gewonnen werden könne und diese daher bestmöglich behandelt werden müsse. Entsprechend genau und umfassend ließ er den Vorfall überprüfen.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Luftschlag gar nicht hätte angeordnet werden dürfen, da er nicht der Unterstützung von am Boden kämpfenden Nato-Soldaten diente. Zudem kam heraus, dass sich die beiden gekaperten Fahrzeuge von den deutschen Kasernen wegbewegten, also keine unmittelbare Bedrohung bestand. Diese Erkenntnisse waren dem deutschen Verteidigungsministerium vorgelegen, aber zurückgehalten worden, wie später bekannt wurde. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und ein Staatssekretär mussten den Hut nehmen, schließlich traf es Verteidigungsminister Franz Josef Jung selbst. Auch sein Nachfolger Guttenberg ist in den Strudel der Affäre geraten, hat er es doch zunächst verabsäumt, die Wahrheit öffentlich einzugestehen.

Schön langsam wird auch klar, warum es die deutsche Bundeswehr hier an Transparenz vermissen lässt. Oberst Klein fällte die Entscheidung zum Luftangriff offenbar nicht einsam und unter großem Zeitdruck, sondern er beriet sich zumindest mit mehreren Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK. Jetzt fragen sich nicht nur kritische deutsche Medien, mit wem er in besagter Nacht sonst noch gesprochen hat. Hat er sich etwa bei Vorgesetzten in der Bundeswehr und im Ministerium rückversichert, bevor er den folgenschweren Befehl erteilte? Sollte dem so ein, hätten allerhöchste Stellen großes Interesse daran, den Fall zu vertuschen.

Mittlerweile wird der Luftangriff bei Kunduz als die folgenschwerste deutsche Militäraktion seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bezeichnet. Die Vorgangsweise der Militärs wirft aber vor allem eine Frage auf: Wie viele "Unfälle" mit getöteten afghanischen Zivilisten konnten in der Vergangenheit erfolgreich vertuscht werden?