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Die Konstruktionen, mit denen sich die überschuldeten Staaten neuen Kredit besorgen wollen, ähneln immer mehr toxischen Finanzprodukten.
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Einen nicht unoriginellen Beitrag zur Lösung der europäischen Schuldenkrise verdanken wir dem französischen Notenbank-Präsidenten Christian Noyer. In einem TV-Interview meinte der nämlich jüngst allen Ernstes: "Wir haben im EZB-Direktorium entschieden, dass wir die große Kanone benutzen werden. Damit können die Banken weiter ihren Geschäften nachgehen, können weiter der Wirtschaft Kredite geben - und können weiter Staatsanleihen kaufen. Dies ist die Aufgabe von Versicherungen, Banken und Finanzinvestoren. Wir werden ihnen alle Liquidität geben, die sie dafür brauchen." Die Banken würden, so Noyer, für drei Jahre unbegrenzt Geld von der EZB bekommen, damit sie damit "Staatsanleihen kaufen können, um zu helfen, dass die Zinsen für Staatsanleihen sinken."
Die Vorstellung, dass hohe Funktionäre wie Noyer, der Sitz und Stimme im EZB-Direktorium hat, für die Stabilität und den Werterhalt des Euro verantwortlich sind, ist nicht wirklich beruhigend, um es einmal höflich zu formulieren.
Denn was der Franzose da mit dankenswerter Ehrlichkeit skizziert, ist im Grunde nicht weniger als das Drehbuch zu einem währungspolitischen Putsch. Wenn die EZB Geld druckt, den Banken borgt und dafür nachdrücklich erwartet, dass die Banken damit Staatsanleihen kaufen, stellt das zwar nicht formal, aber sehr wohl inhaltlich den Tatbestand der Staatsfinanzierung durch die Banknotenpresse dar; eine unter seriöseren Ökonomen mit gutem Grund weitgehend verpönte Vorgangsweise. Dass genau das unter gar keinen Umständen je geschehen werde, hat man uns ja deshalb auch bei der Einführung des Euro hoch und heilig versprochen. Würde das Wirklichkeit - was derzeit freilich vor allem angesichts der überschaubaren deutschen Begeisterung für derartige Pläne noch eher offen ist -, dann handelte es sich also um glatten politischen Betrug.
Dass ein Mitglied des Direktoriums der EZB live im Fernsehen für einen derartigen politischen Betrug plädieren kann, ohne sich dafür nennenswerten Ärger zuzuziehen, liegt an einer nicht nur in Frankreich noch immer weit verbreiteten Illusion der politischen Klasse: der Illusion, die gerade wieder einmal weiter eskalierende Wirtschaftskrise mittels Finanztricks zum Verschwinden bringen und dabei den Wählern Wohlstandseinbußen gröberer Art in den nächsten Jahren noch irgendwie ersparen zu können.
Das aber wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, egal welche abenteuerlichen Konstruktionen zur Staatsfinanzierung, die übrigens immer mehr an die toxischen Investmentprodukte der Finanzindustrie erinnern, noch erdacht werden.
Möglich und machbar ist hingegen durchaus, den unvermeidbaren Zahltag noch ein Stück in die Zukunft zu verschieben - um den Preis, dass die Rechnung dann eben noch höher ausfallen wird.
Vernünftiger wäre freilich, dem Wähler endlich eine ganz simple Wahrheit zuzumuten: dass Staaten nicht endlos mehr ausgeben als einnehmen können - und dass dieses Problem auch dann nicht verschwindet, wenn die EZB die Notenpresse anwirft.
ortner@wienerzeitung.at