Auf Fasten vor Ostern folgt das Abmagern für die Bikinifigur. | Die Umstellung der Ernährung ist dabei langfristig sinnvoller. | Da spricht Fürst Oblonskij zum Tartar: "Nun also Freundchen, dann gib uns Austern, zwei oder drei, das ist ein bisschen wenig, drei Dutzend; Suppe mit allerlei Grünzeug darin". Das spontane Mittagessen im Hotel dAngelterre in Moskau hatten Oblonskij und sein Freund Konstantin Ljewin mit Hors dOeuvres von Schnaps und Fisch eingeleitet. Nach der Vorspeise der Austern würden sie "Soupe printanière", Roastbeef Beaumarchais und Stubenküken mit Estragon bestellen und die Delikatessen mit einem Dessert von Obstsalat und Käse abschließen. Dazu reichlich Wein.
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Geht es nach Leo Tolstoi, der Oblonskij und Ljewin in "Anna Karenina" verewigte, aßen im 19. Jahrhundert all jene, die es sich irgend wie leisten konnten, mit großem Genuss. (Auch jene, die es sich nicht leisten konnten: Oblonskij lädt ins Hotel dAngleterre, weil er dort die meisten Schulden hat und es ungeziemend fände, sich gerade deswegen nicht mehr zu zeigen.)
Schon allein weil Hunger im 19. Jahrhundert allgegenwärtig war, zog selbst das wohlgenährte Bürgertum Abmagerungskuren nicht in Erwägung. Vielmehr brachte es seine Silhouetten mit Kleidung in Schwung. Ein stattlicher Herr verpackte seinen Wohlstandsbauch in einem Kummerbund oder legte einem eleganten Gehrock darüber. Die Damen schnürten sich dem Schönheitsideal entsprechende Wespentaillen. Und selbst nachdem sie Anfang des 20. Jahrhunderts das Korsett abgelegt hatten, waren Abmagerungskuren kein Thema, da die Zwischenkriegszeit Mangel erfuhr, nicht Überfluss.
Unterschiede bei der als ideal geltenden Körperfülle in Europa erklären sich bis heute mit dem Nahrungsangebot. Wo die Versorgungslage unsicher ist, wird Fett zum Statussymbol. Ein Inserat in einer Berliner Tageszeitung aus den Zwanzigerjahren wirbt mit einer Pille, die "unschönen Knochenvorsprüngen" den Kampf ansagt: Die Einnahme des frühen Nahrungsergänzungsmittels verspricht Gewichtszunahme (Bild).
Wenig anders war es nach dem Zweiten Weltkrieg. Jahrelang hatten die Menschen Entbehrungen erfahren, waren über jeden Erdapfel froh gewesen. Hatten Ersatz-Kakao mit Wasser gekocht und nur wer über Verbindungen auf dem Land verfügte, konnte Essensvorräte bei Bauern hamstern. Nach Jahren des Hungerns, die wie eine Ewigkeit erschienen, wurde in der Nachkriegszeit die stattliche Figur zum Zeichen von wachsendem Wohlstand. Gegessen wurde nicht, was auf dem Tisch kam, sondern mehr. Kinder, die ihre Mahlzeiten aufaßen, lobte die Großmutter mit einem inbrünstigen "brav!", und eine zweite Portion zu verlangen war kein Zeichen von Unersättlichkeit, sondern von Hunger. Der vollschlanke Filmstar Marilyn Monroe, der (die heute nur noch selten erhältliche) Kleidergröße 42 getragen haben soll, wurde zum Sex-Symbol auf der ganzen Welt.
Begehrtes Luxusgut
Umgekehrt ist in Zeiten des Überflusses ein schlanker Körper ein begehrtes Luxusgut. Und je weniger Kleidung wir anlegen, desto wichtiger scheint es, diesem Luxusgut ein Stück näher zu kommen. Den Schöpfern von Abmagerungskuren verleiht unser Klima Flügel: Weil er so lange dauert, denken wir schon im Winter an den Sommerurlaub - und an unsere in der Badekleidung sichtbare Figur. Spätestens Ende Jänner mustern wir uns im Spiegel und ab Mitte Februar verabscheuen wird unsere Fettpölster, um schließlich am Aschermittwoch zu Fastenkuren von der Sorte "bis Ostern kein Alkohol" abzuheben.
Wer es noch ernster meint, geht auf Diät: "Jedes Frühjahr sind Diäten das Thema und jedes Jahr versuchen immer mehr Menschen abzunehmen", sagt Alexandra Hofer von der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung. Der Blick auf einschlägige Homepages zeigt: Die Zahl als zielführend empfohlener Abmagerungskuren geht in die hunderte. "Die Trends ändern sich laufend. Alle Jahre dominieren andere Methoden - von Fett-reduzierten bis Kohlehydrate-reduzierten Diäten", sagt Hofer. Die Expertin sieht den Markt als weitgehend gesteuert von der einflussreichen Pharmaindustrie. Mit ihren Marketing-Maschinerien lanciert sie Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente, die für bestimmte Formen der Ernährung stehen. Darüber referieren wiederum Ärzte auf Kongressen, bis die Prospekte schließlich in den Wartezimmern der Hausärzte landen.
Durchfall bei der Einnahme von fettreichen Nahrungsmitteln, Entschlackung mit unterschiedlichen Kräutertees, ganzheitliche Stoffwechselprogramme zum langsamen Abbau von Fettzellen, Heilfasten, Reisdiät, Trennkost - keine Abmagerungskur ist ein Dauerzustand, denn wäre sie das, hätte man am Schluss Körpergewicht null - plus Skelett. Vielmehr belohnen wir uns für unsere Disziplin auf Zeit mit Schlemmerorgien danach - besonders wenn wir im Arbeitsleben tagtäglich meinen, alles unter Kontrolle haben zu müssen. Wir essen genussvoll und viel, weil wir uns dabei ein Stück weit gehen lassen können. Um den Yoyo-Effekt auszugleichen, wiederholen wir die Diät vom Frühling im Spätsommer, bevor wir uns im Herbst den Winterspeck anfressen, der uns wiederum für die kalte Jahreszeit wappnen soll.
Kein Wunder also, dass Experten der Ansicht sind, Diäten sind Quatsch, sie nützen nichts. Isoliert betrachtet stimmt das. Ganzheitlich gesehen aber nicht. Kurz und gut: "Eine gute Figur erfordert eine dauerhafte Umstellung der Ernährung und regelmäßigen Sport", sagt Doris Gapp, Ärztin für Allgemeinmedizin in Wien: "Der Trend geht weg von fragwürdigen Diäten hin zur dauerhaften Änderung des Essverhaltens, vor allem in Richtung einer weniger kohlehydratereichen Ernährung. Immer mehr Menschen erkennen, dass sie durch solche Änderungen ihr Risiko zur Entstehung von Krankheiten selbst senken können." Ein optimistischer Gedanke.
Index verbotener Gerichte
Sind die Debatten zur Finanzierung des Gesundheitssystems also dort angekommen, wo sie landen sollten? Oder sind jene, die ihr Essverhalten ändern, ja doch nur mit Vernunft gesegnete Ausnahmen? Die Tatsache, dass großflächige Rauchverbote nötig waren, um ein breites Bewusstsein dafür zu schaffen, wie schädlich das Rauchen wirklich ist, spricht für Letzteres. So gesehen müsste eine Regierung, die die Gesundheitskosten dauerhaft senken will, bestimmte Gerichte von den Speisekarten der Gasthäuser nehmen. Auf einem "Index der verbotenen Speisen" könnten dann etwa das Blunzengröstel, die Stelze und die Speckkruste vom Kümmelbraten stehen. Neben keinem Alkohol dürften auch keine Pommes Frites an Jugendliche verabreicht werden und Fast-Food-Ketten wären in einer solchen Diktatur verboten.
Zurück in der Demokratie gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass traditionelle Küche für körperlich schwer arbeitende Menschen entwickelt wurde. Bevor die Tierzucht Massenmärkte bediente, gab es in den Haushalten weniger Fleisch. Man aß es sonntags und mit Genuss. Der Rest des Speiseplans bestand aus Fisch ein Mal die Woche und aus Gemüse. Heute stehen auf den Tageskarten heimischer Gasthäuser vorwiegend üppige Fleischgerichte. Die der im Büro sitzende Mensch zuerst in Fettpölster und später in Diabetes verwandelt - der sogar teurer und aufwendiger zu behandeln ist als Lungenkrebs, nicht zuletzt weil er länger dauert.
An einer Änderung der Ernährung führt also kein Weg vorbei. Dabei geht es nicht um das Erreichen des Luxusguts eines schlanken und ranken Körpers, sondern um das richtige Mittelmaß zwischen dick und dünn. Denn wie oft essen wir, ohne hungrig zu sein? Dass da ein Haubenkoch her muss, um unseren Gaumen zu kitzeln, ist klar.