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Das Massaker von Paris könnte sich als Stunde der Entscheidung für Europas Muslime erweisen.
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Es ist eine fragile und vielleicht auch ein wenig naive Hoffnung. Aber es ist Hoffnung. Erstmals nach einem derartigen Terroranschlag haben in den vergangenen 48 Stunden eine Reihe von islamischen Organisationen, aber vor allem zahllose individuelle Muslime in ganz Europa in den sozialen Medien ohne Wenn und Aber deponiert, dass der Massenmord von Paris mit ihrem Glauben nicht vereinbar ist. "Heute wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube verraten und unsere muslimischen Werte in den tiefsten Dreck gezogen", erklärte der Vorsitzende des Zentralrates der deutschen Muslime und kündigte eine große Demo an. "Unser Islamverständnis und jenes der Terroristen können niemals nebeneinander existieren", sekundierte der deutsche Rat muslimischer Studierender und Akademiker, "und so ist die größte Gefahr nicht, dass man uns jetzt noch mehr in der Bahn anstarrt, (. . .) sondern dass der ,Islam‘ dieser Menschen weiter gedeiht, dass er zu uns kommt, noch mehr als bisher. Dass er weiter in muslimischen Ländern Massen von Menschen umbringt, versklavt, vertreibt." So ist es, und so scheint es in diesen Tagen auch eine nicht ganz kleine Zahl von Muslimen in Europa zu sehen.
Davon, ob sie eine irrelevante Minderheit bleiben oder aber es ihnen irgendwann gelingt, einen europäischen Islam mit menschlichem Antlitz zu schaffen, wird sehr viel abhängen. Kern dieses Euro-Islam müssen drei einfache Bekenntnisse sein: zur Verfassung als oberster Instanz der Rechtssetzung, zur Gleichberechtigung von Mann und Frau und schließlich zur Religionsfreiheit für alle Bekenntnisse. Nur ein Islam, der sich glaubhaft zu diesen Werten bekennt, wird wirklich in Europa angekommen sein.
Dabei geht es um keine theologische Haarspalterei, sondern möglicherweise um eine Frage von Krieg und Frieden. Denn der Islam wird innerhalb der nächsten 20 bis 30 Jahre aus rein demografischen Gründen ganz erheblichen Einfluss in Europa haben, vor allem in den immer dominanter werdenden urbanen Bereichen der Union. In Marseille etwa, der zweitgrößten Stadt Frankreichs, werden die Muslime in etwa zehn Jahren die größte Bevölkerungsgruppe sein, in Barcelona dürfte die Entwicklung ähnlich verlaufen. Auch Städte wie Amsterdam, Rotterdam oder Malmö werden in absehbarer Zukunft vorwiegend muslimisch geprägt sein. Und in Brüssel, dem Sitz der EU, wächst die muslimische Bevölkerung von derzeit etwa 25 Prozent stetig an.
Davon, welchem Islam sich diese dann dominierenden Gruppen der Bevölkerung verpflichtet fühlen, wird abhängen, ob ein gedeihliches Zusammenleben organisiert werden kann oder eben nicht. Denn gelingt es den Anhängern eines orthodoxen Islam mit seinen faschistoiden Aspekten, im Schutz einer apathisch schweigenden Mehrheit das Gesicht des europäischen Islam zu prägen, drohen Europa gewalttätige Auseinandersetzungen.
Die Niederlande, hat der damalige Justizminister Piet Hein Donner 2006 gemeint, könnten problemlos die Scharia einführen, sollte die Mehrheit der Bevölkerung das eines Tages wünschen. So sei das eben in einer Demokratie. Das stimmt zwar aus juristischer Sicht, sollte aber vielleicht in der Praxis besser nicht ausprobiert werden. Denn was passiert, wenn ein nicht reformierter und nicht europäisierter Islam seine mittelalterlichen Werte einer Minderheit höchst demokratisch verpasst, das will man sich lieber nicht vorstellen.