Zwei Tage, bevor die Finanzminister der Europäischen Union erneut um einen Kompromiss für die Reform des Stabilitätspakts ringen, gab das EU-Statistikamt Eurostat am Freitag die vorläufigen Defizit- und Verschuldungszahlen 2004 für die 25 Mitgliedsstaaten der EU bekannt.
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Mit Deutschland, Frankreich (beide 3,7%) und Griechenland (6,1%) haben vorerst drei Staaten der Eurozone die vom Stabilitätspakt verlangte Neuverschuldung von 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übertroffen. Gegen alle drei Länder laufen bereits Strafverfahren der Europäischen Kommission, weil sie 2004 das dritte aufeinander folgende Jahr gegen die Defizitlimits des Paktes verstoßen haben.
Die ersten beiden Länder sind es auch, die sich am Sonntag beim Sondertreffen der EU-Finanzminister für besonders viele Ausnahmen von der strikten Einhaltung der Grenze einsetzen wollen.
Unklarheit über Griechenland und Italien
Die Zahlen aus Griechenland und Italien, das genau auf der 3%-Grenze liegt, könnten sich darüber hinaus noch erhöhen, hieß es seitens Eurostat. In beiden Fällen gibt es unklare Verbuchungen. In Athen, das seinen Beitritt in die Eurozone nur mit nicht EU-konformen Berechnungsmethoden seines Budgets erreicht hatte, seien dies etwa die Kosten für die Olympischen Spiele 2004. In Italien geht es vor allem um Vorauszahlungen von Steuereintreibungsunternehmen, die fälschlicherweise als Einnahmen verbucht worden seien. Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi reagierte gestern verärgert auf die Vorwürfe. "Wir sind mit diesen nachträglichen Korrekturen nicht einverstanden, und wir haben diesen absurden Bürokratismus auch ziemlich satt", zitierten ihn italienische Medien.
Italien will sich wie Frankreich und Deutschland beim EU-Finanzministertreffen für eine möglichst lange Liste so genannter "anderer relevanter Faktoren" einsetzen, die nach dem gescheiterten Reformvorschlag der luxemburgischen Ratspräsidentschaft die "ausnahmsweise und vorübergehende Überschreitung" der Defizitgrenzen "nahe der Referenzwerte" zulassen sollen. Der Luxemburger Regierungschef und Finanzminister Jean Claude Junker kam von zwei Seiten unter Kritik. Den einen Ländern waren Faktoren wie Strukturreformen, große Pensionsreformen, Veränderungen bei den Forschungsausgaben und Naturkatastrophen zu wenig, andere wie Österreich, die Niederlande, Finnland oder Spanien plädierten für eine strenge Handhabung der Stabilitätskriterien und wollten keine oder eine deutlich kürzere Liste.
Streitpunkte waren dem Vernehmen nach etwa die Kosten der deutschen Wiedervereinigung sowie französische Verteidigungsausgaben.
Vage Vorschläge
Junckers Vorschlag, jeder Mitgliedsstaat solle selbst Faktoren benennen, die ein höheres Defizit rechtfertigten, wurde bisher eher verhalten aufgenommen. Die Europäische Kommission soll vorgeschlagen haben, statt der Liste allgemeine Grundsätze zu formulieren, auf deren Basis gemessen würde, ob es sich um einen relevanten Faktor handelt oder nicht. Bis Freitag war nicht bekannt, ob die Ratspräsidentschaft diesen Entwurf aufgreifen wollte.
Angesichts dieser Unsicherheiten wird am Sonntag keine Einigung auf ein Reformpaket für den Stabilitätspakt erwartet. Die Problematik wird die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Frühjahrsgipfel in Brüssel am Dienstag und Mittwoch maßgeblich beschäftigen; ein Gipfel, der vordringlich der Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie gewidmet werden sollte. Diplomaten halten es für möglich, dass selbst dort keine Einigung zustande kommt.
Für diesen Fall haben die Regierungen der fünf größten EU-Staaten offenbar vereinbart, in Zukunft eine scharfe Anwendung des Euro-Stabilitätspakts zu blockieren, schreibt die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf deutsche Regierungskreise. Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und Großbritannien hätten sich darauf "auf Arbeitsebene geeinigt".
Verschuldungsquote erhöht
Das Defizit in der Eurozone und in der EU hat sich 2004 gegenüber dem Vorjahr zwar geringfügig verbessert, die Verschuldungsquote hat sich aber erhöht. Laut Eurostat verzeichneten die zwölf Euroländer im Vorjahr durchschnittlich eine Neuverschuldung von 2,7% des BIP im Vergleich zu 2,8% im Jahr 2003.
Die Euro-Länder hatten im Vorjahr zusammen 5.383 Mrd. Euro an Schulden, das entspricht 71,3% ihrer Wirtschaftsleistung. 2003 betrug der öffentliche Schuldenstand noch 70,8%.
Für alle 25 EU-Länder zusammen weist Eurostat ein Defizit von 2,6% des BIP aus. nach 2,9% im Jahr davor. Die EU hatte 2004 Schulden in Höhe von 6.509 Mrd. Euro, das entspricht einem Anteil von 63,8% des BIP gegenüber 63,3% im Jahr 2003.
Sowohl die Eurozone als auch die EU insgesamt verfehlen damit die so genannten Maastricht-Kriterien, wonach die Gesamtverschuldung den Wert von 60% des BIP nicht übersteigen darf.
In zehn Mitgliedstaaten der EU verschlechterte sich das Defizit 2004 im Vergleich zu 2003, in 14 verbesserte es sich. Sechs EU-Staaten verzeichneten 2004 Budgetüberschüsse: Dänemark (2,8%), Finnland (2,1%), Estland (1,8%), Schweden (1,4%), Irland (1,3%) und Belgien (0,1%). Für Österreich gibt Eurostat unverändert ein Defizit von 1,3% im Jahr 2004 (2003: 1,1%) an.