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Abe, Erdogan und Putin sind Regierungschefs, denen autokratische Tendenzen nachgesagt werden. Sie verstehen sich gut.
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Tokio. "Abe und die Autokraten - sie verbindet eine gute Chemie!", sagte der japanische Politikjournalist Takao Toshikawa im Club der Auslandskorrespondenten vor einer Woche, zur Erheiterung der Anwesenden. Der japanische Premierminister Shinzo Abe verstehe sich außerordentlich gut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, beide für ihre autokratischen Tendenzen bekannt. Den guten Draht Abes zu den beiden sollen selbst seine Mitarbeiter in der Presse bestätigt haben, sagte der Politologe Michael T. Cucek auf der gleichen Pressekonferenz.
In der Tat gab es seit Abes Amtsantritt viele sichtbare Anzeichen für autokratische Tendenzen. Beim Ausbau seines Einflusses hilft Abe der neuste Wahlsieg bei den Unterhauswahlen am Sonntag. Er und seine Regierungskoalition sicherten sich 326 von 475 Sitzen. Die Opposition wurde abgestraft: Banri Kaieda, der Chef der Demokraten, die bis vor zwei Jahren die Regierung stellten, verlor seinen Sitz und trat zurück. Abe hatte im November überraschend Neuwahlen ausgerufen, angeblich, um ein "Referendum" über seine Wirtschaftspolitik abzuhalten. In Wahrheit wolle Abe seine Amtszeit auf sechs Jahre verlängern, wie er es von Anfang an geplant hatte, sagen Politbeobachter wie Toshikawa, um seine nationalistische Agenda voranzutreiben.
Aus der Luft gegriffen ist die vermutete Männerfreundschaft unter den Machthabern nicht: Über ein halbes Dutzend Mal hat sich Abe mit Putin getroffen, zuletzt am Rande des Apec-Gipfels in China. 2015 soll Putin den Japan-Besuch nachholen, der für diesen Herbst angedacht war. Er lag auf Eis, seit sich Japan an den Sanktionen infolge der Ukraine-Krise beteiligt hatte. Doch Abe suchte bald wieder den Dialog mit Putin, wohl auch in der Hoffnung, Russland China als Bündnispartner abspenstig zu machen. Außerdem sucht er eine Einigung über Rohstofflieferungen sowie die Lösung eines Territorialstreits, der seit Kriegsende einem Friedensvertrag im Weg steht. Seit Abe im Amt ist, gibt es Zeichen für eine Annäherung.
Auch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan pflegte Abe den Kontakt mit Nachdruck. Er besuchte Erdogan im ersten Jahr seiner Amtszeit, im zweiten Jahr empfing er Erdogan in Tokio. Die beiden verbinden mehrere gemeinsame Ziele: die Atomkraft zu fördern, die Rüstungsindustrie auszubauen und damit ihre Wirtschaft anzuschieben. So wird dank des Einsatzes von Abe die japanische Firma Mitsubishi Heavy Industries mit der französischen Areva in der Türkei ein Atomkraftwerk für 22 Milliarden US-Dollar bauen. Auch bei der Rüstung wollen die beiden Länder kooperieren.
Hyper-Nationalismus und das Rächen von Demütigungen
Für den Kommentator Dileep Padgaonkar von "The Times of India", der größten englischen Zeitung in Indien, stehen die drei Machtpolitiker für einen weltweiten Politiktrend in den letzten zehn Jahren. Er bestehe neben einer grundlegenden autokratischen Einstellung aus "Hyper-Nationalismus mit tiefen Wurzeln in religiöser und ethnischer Homogenität, kultureller ,Einzigartigkeit‘ und dem Wunsch, vergangene reale oder eingebildete Demütigungen zu rächen". An der Spitze sei eine bestens mit der Wirtschaft vernetzte starke, charismatische und entscheidungsfreudige Führungsfigur, die "ausländische", vor allem westliche, Werte ablehnt.
Es gibt viele Beispiele, wie sich diese Definition auf die drei Machthaber anwenden lässt: Für Putin soll die Annektierung der Krim ein Mittel gewesen sein, nach der Schmach des Zusammenbruchs der Sowjetunion wieder Stärke zu demonstrieren. Er stellt seine Politik in eine Linie mit der christlich-orthodoxen Tradition und verweist auf die jahrtausendalte Geschichte des Landes, um bei seinen Landsleuten patriotische Gefühle zu wecken - mit Erfolg. Mit Widersachern wie kritischen Journalisten ist Putin nicht zimperlich: Sie werden bestochen, ausgegrenzt oder verhaftet.
Auch unter dem türkischen Premier Erdogan ist es mit der Pressefreiheit nicht weit her. Er ließ Journalisten verhaften und soziale Netzwerke blockieren. Sein hartes Vorgehen gegen Protestanten am Taksim-Platz machte ihn für viele zu einer "persona non grata". Nicht jedoch im eigenen Land. Dort lag seine Partei bei Lokalwahlen klar vor der Opposition, trotz eines Korruptionsskandals. Der Grund ist wohl, dass seit seinem Amtsantritt 2002 die Wirtschaft stark gewachsen ist.
Abe will die japanische Verfassung ändern
Die Hoffnung auf den wirtschaftlichen Aufschwung verschaffte auch Abe und seiner liberaldemokratischen Partei einen haushohen Wahlsieg, wie vor zwei Jahren. Wie Putin ist Abe motiviert von einer empfundenen Demütigung seiner Nation, im Fall von Japan durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Er träumt davon, Japan wieder zu seiner alten Größe vor dem Krieg zurückzuführen. Dazu gehört für ihn auch, die Verfassung zu ändern, wie er nach seinem Wahlsieg am Sonntag explizit im Fernsehen sagte, obwohl er im Wahlkampf das heikle Thema ausgespart hatte. Die von den US-amerikanischen Besatzern entworfene Nachkriegsverfassung, die seit 1947 in Kraft ist, empfindet er als seinem Land aufgezwungen. Schandflecken der japanischen Geschichte, wie das Nanking-Massaker oder das System der Sexsklavinnen für Soldaten im Zweiten Weltkrieg, spielt die Abe-Regierung herunter. Unbeirrt von Kritik aus China, Korea und den USA, besuchte Abe vor einem Jahr den Yasukuni-Schrein in Tokio. Dort werden neben einfachen Soldaten auch Kriegsverbrecher verehrt.
Autokratische Linie nimmt bei Wahlen keinen Schaden
Paradox aus der Sicht von Beobachtern ist: Weder in Russland noch in der Türkei oder Japan wirkten sich diese autokratischen Tendenzen negativ auf den Wahlerfolg aus. Der Zweck heiligt die Mittel, scheinen viele Wähler zu denken. Der Zweck, das ist wirtschaftlicher Erfolg, aber auch der Stolz auf das eigene Land. Der Politikjournalist Toshikawa sagt, er sehe Japan in eine neue Phase eintreten: von einem dominanten Regime zum "Abe-Faschismus". Er räumte ein, dass der Ausdruck sehr hart sei, aber er mache sich Sorgen.