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Wie kann ein Staat dafür sorgen, dass seine Souveränität gewahrt bleibt?
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Wir sollten vielleicht doch einmal versuchen, die Sicherheitslage und die Möglichkeiten der Republik realistisch und ernst zu betrachten, eben nicht nach österreichischem Standard. Selbst Denkende und Wissende greifen ob der Verzweiflung, dieses Thema angehen zu müssen, zu drastischen Klassifizierungen wie etwa "Trittbrettfahrer" oder "Musikantenstadl-Neutralität".
Akademisch (nicht parteipolitisch) betrachtet, bieten sich jedem Staat, ob groß oder klein, reich oder arm, drei Möglichkeiten, seine wichtigste Aufgabe - den Erhalt der Souveränität - zu gestalten. Erstens: Er kann so stark sein, dass er sich selbst in allen Lagen schützen kann. Zweitens: Er kann diesen Schutz in einem Bündnis suchen. Drittens: Er kann sich als neutral erklären. Für Österreich kommen nur die Optionen zwei und drei in Frage, und anlässlich der Wiedererlangung der nationalen Souveränität wurde, auf Druck der Sowjetunion, das Modell der Neutralität nach Schweizer Vorbild gewählt, gar verfassungsrechtlich abgesichert. Eigentlich wäre damit jeder weitere Kommentar überflüssig - mehr Klarheit kann eine völkerrechtliche Situation nicht haben.
Leider entsprechen wir - die jeweilige politische Vertretung und in seltener Geschlossenheit seit 1955 auch das Volk - diesen klaren Gegebenheiten nicht, sondern haben konsequent und unnachgiebig diese Form der Sicherheit unserem Denken und Handeln angepasst, siehe erster Absatz. Das neutrale Österreich hat sich durch den Kalten Krieg geschwindelt (Leseempfehlung: Generalmajor Fritz Webers Essay "Österreichische Sicherheitspolitik seit 1955") und ist 1995 der EU beigetreten. Diese akzeptierte den neutralen Status, und Österreich sah darin eine Bestätigung seines Kurses, ab dann erweitert durch die geografische und sicherheitspolitische "Macht" der EU, zu einem sehr geringen Preis. Man nannte das eine Win-win-Situation, Politik und Volk klopften sich auf die Schultern.
Von Nato-Staaten umgeben
Der EU-Beitritt machte den - wenigen - staats- und sicherheitspolitisch klar denkenden Politikern deutlich, dass die Frage der Kompatibilität in einem Staatenbund mit dem Ziel, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und damit auch außen- und sicherheitspolitisch zu einer Einheit zusammenzuwachsen, mit der Neutralität, also ohne jede Verantwortung im entscheidendsten Segment politischer Staatsverantwortung, nämlich der Souveränität, nicht möglich ist. Ihre kleinen und zögerlichen Stimmen wurden weder gehört noch diskutiert - die Neutralität war der Persilschein für geringste Sicherheitsausgaben und wurde zur "sine qua non" des nationalen Daseins hochstilisiert. Das klang gut, war einheits- und sinnstiftend, billig und innenpolitisch sehr erfolgreich.
Eine volle Integration der EU zu einer politischen Einheit in den Schlüsselbereichen Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik schließt die Akzeptanz der Neutralen aus. Schweden und Finnland, beide blockfrei - nicht neutral! -, stehen hier vor keinem Problem und lassen bereits jetzt erkennen, dass sie den Weg in die Nato oder gar eine europäische gemeinsame Verteidigung gehen wollen. Österreichs Kanzler hingegen hat mehrfach erklärt: "Wir waren neutral, wir sind neutral, wir bleiben neutral."
Das bedeutet nun: Wir sind von den Nato-Staaten Frankreich, Deutschland, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Italien, Rumänien, Bulgarien sowie (allerdings ohne geografische Bedeutung für Österreich) Estland, Lettland und Litauen umgeben und grenzen im Westen an die Schweiz, wären also konventionell von diesen Staaten "geschützt". Im Fall eines Vorstoßes von Osten in Richtung Atlantik könnte unser Raum aus militär-geografischen Gründen nicht ausgespart bleiben. Der Anstand - keine politische Wertekategorie - würde in diesem Fall einen Beitrag zur Verteidigung der Union zwingend erfordern.
Berufsheer für EU-Armee
Wie aber wäre dies mit der Neutralität zu vereinbaren? Und glaubt vielleicht auch nur ein einziger Politiker in Österreich, er könnte dann mit dem Schild "Wir sind neutral!" auftreten? Im Fall der Gestaltung dieser politischen Union und bei geplantem Verbleib, der wirtschaftlich unerlässlich wäre, bliebe nur der Weg der Aufgabe der Neutralität (Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat) und die rasche Schaffung eines österreichisch-europäischen Beitrags zur gemeinsamen Sicherheit. Dies würde verlangen:
Abschaffung der Wehrpflicht, Abtrennung der notwendigen Kapazitäten für Zivil- und Katastrophenschutz als nicht-militärische Struktur, staatlich zu finanzieren (aufbaubar auf den Freiwilligen Feuerwehren);
Schaffung eines Berufsheeres zur Integration in europäische Streitkräfte;
Aufstellung einer der EU unterstellten Eingreiftruppe - jederzeit einsatzbereit und bestens gerüstet, in der Stärke und Struktur einer Gebirgsbrigade, voll luftbeweglich, mit zwei permanenten Ausbildungs-, Ersatz und Reservebrigaden;
Integration der Luftraumüberwachung in die Europäische Luftverteidigung;
Budgeterhöhung auf 2 Prozent des BIP pro Jahr, Erstansatz von 6 bis 8 Milliarden Euro, gestaffelt über drei Jahre, für Rüstung und Ausbildung der Berufsstreitkräfte sowie rund 500 Millionen Euro für den Zivilschutz, danach entsprechend den Erfordernissen.
Neutralität wird bleiben
Das alles klingt natürlich für österreichische Ohren völlig illusorisch - man bedenke aber, dass seit 24. Februar vor unserer Haustüre (500 Kilometer!) ein Angriffskrieg tobt, der womöglich auch den uns umgebenden Nato-Staaten droht. Sogar Politiker, die bisher allem Militärischen gegenüber extrem ablehnend gegenüberstanden, beginnen nun nachzudenken. Freiheit und Frieden haben einen Preis, "Werte"-Schilder sind eine lächerliche Antwort auf einen Panzerangriff.
Letztlich wird es aber wohl beim strikten Beibehalten der Neutralität bleiben - es ist müßig, den Österreichern zu sagen, dass zum Beispiel Belgien 1914 und 1940 neutral war und trotzdem beide Male von Deutschland aus militärisch-operativen angegriffen, besetzt und teilweise zerstört wurde. Auch die oben erwähnte Anstandsklausel wird in Österreich keinen Eindruck machen. Ob allerdings im Fall eines Vorstoßes, der nun nicht mehr mit dem Brustton der Überzeugung ausgeschlossen werden kann, die Neutralität vor Besetzung, Zerstörungen schützen würde, ist mehr als fraglich. Eines ist jedenfalls sicher: Irgendwann werden wir sicherheitspolitisch Farbe bekennen müssen.