Quasi-Monopolisten in Turbulenzen. | Die einst hohe Reputation wich dem Misstrauen. | Ratings von Mit- bewerbern werden zusehends wichtiger. | Wien. Die Blutspur reicht von der Pleite des US-Konzerns Enron über die Subprime-Krise bis hin zum Zusammenbruch der Investmentbank Lehmann Brothers und zum Skandal um die weltgrößte Versicherung AIG.
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Zumindest einen Teil der Schuld an dem Desaster mussten drei Unternehmen übernehmen, deren machtvolle Aufgabe es ist, die Bonität von Unternehmen und Staaten zu bewerten. In den genannten Fällen waren den international tätigen Ratingagenturen Standard&Poor´s (S&P), Moody´s und Fitch haarsträubende Fehleinschätzungen unterlaufen.
Das Trio Infernal (siehe Kasten), das zuvor eine hohe Reputation genoss, ist nicht nur bei der Einschätzung der Kreditwürdigkeit von maroden Konzernen gescheitert, sondern auch bei Urteilen über die Qualität von Wertpapieren. Die weltweite Empörung, dass die drei Mitbewerber laufend - und nicht selten zu Unrecht - Topnoten für Finanzanlagen vergaben, denen Fondsmanager blind vertraut haben, formulierte etwa Christian Konrad, Generalanwalt von Raiffeisen, mit Wut im Bauch so: "Ratingagenturen sind zum Krenreiben".
Die drei in Ungnade gefallenen Orakel, die sich gemeinsam einen globalen Marktanteil von rund 90 Prozent und damit eine Quasi-Monopolstellung gesichert haben, sind private, stark gewinnorientierte Unternehmen. Für ihre Dienstleistungen, die auf komplizierten, intransparenten mathematischen Formeln beruhen, verlangen sie ansehnliche Honorare. Vorwürfe, dass sie häufig im Sinne ihrer Auftraggeber urteilen, um diese nicht zu verlieren, weisen sie naturgemäß weit von sich. Jedoch bleiben die Arbeitsweise und Methoden der Bewertungsexperten bislang weitgehend im Dunkeln.
Die Bonität von Unternehmen oder Ländern wird generell mittels einer von Agentur zu Agentur unterschiedlichen Buchstabenkombination eingestuft, die über Wohl und Wehe der Betroffenen entscheidet, aber - wie etwa beim Enron-Konzern oder beim Staat Island - total daneben liegen kann. Diese Ratingcodes (siehe Tabelle) reichen in der Regel von AAA (höchste Kreditwürdigkeit) bis D (nahe am Bankrott).
Platzhirsche überfordert
Als Lieferanten solch lebenswichtiger Informationen, die kreditgebende Banken und Finanzanleger benötigen, sind Standard& Poor´s, Moody´s und Fitch zu wirtschaftlichen Supermächten geworden - allseits hofiert, mit dem Nimbus der Unbestechlichkeit behaftet und sogar weithin für unfehlbar gehalten.
Doch plötzlich - im Jahr 2007 - waren die scheinbar allwissenden Halbgötter tief in der Bredouille: Spätestens seit dem Ausbruch der Subprime-Krise wird die Aussagekraft ihrer Ratings in Frage gestellt.
Der US-Börsenaufsicht SEC war nicht entgangen, dass neuartige, kreativ strukturierte Finanzprodukte, etwa die sogenannten "Collateralized Debt Obligations", die Rating-Platzhirsche offenbar überforderten. Denn als die Schrottanleihen bereits an Wert verloren und das Platzen der Blase auf dem US-Hypothekenmarkt nicht mehr zu überhören war, verteilten die Ratingagenten immer noch die Topzensur AAA für Hypothekenderivate. Die SEC untersuchte daher bereits vor zwei Jahren, ob sich die drei Agenturen bei der Einstufung von Wertpapieren, die mit Hypothekarkrediten besichert waren, in unzulässige Weise beeinflussen ließen.
In der Folge setzte die SEC im Vorjahr den Versuch, die drei Marktriesen an die kurze Leine zu nehmen. Die Kontrolle der Ratingagenturen wurde im Dezember in den USA verschärft. Neue Regeln verordnen nun eine transparentere Arbeitsweise. Obendrein soll die Einführung neuer Bonitätsnoten für strukturierte Finanzprodukte weiteres Unheil auf den Märkten verhindern.
Mehr Wettbewerb
Die allgemeine Kritik, die auch von Senatoren in Washington formuliert wurde, führte auch dazu, dass es künftig mehr Wettbewerb geben soll: Waren S&P, Moody´s und Fitch seit 1976 die einzigen von der SEC anerkannten Rating-Agenturen (NRSRO, "Nationally Recognized Statistical Rating Organisations"), dürften nun auch die übrigen 130 Ratingagenturen mitmischen. Dazu gehören Dominion Bond Rating Service Ltd., A.M. Best Company Inc., Japan Credit Rating Agency Ltd. und die Egan-Jones Ratings Company.
Die Bosse der drei Rating-Marktführer erleben jedenfalls hektische Zeiten: Steve Joynt, Chef von Fitch Ratings, musste im Vorjahr 20 Prozent Minus beim Umsatz und 8 Prozent Minus beim Gewinn verkraften. Raymond McDaniel, Vorstandsvorsitzender von Moody´s, hatte den Absturz des Aktienkurses von 46,36 auf 15,41 Dollar (12,06 Euro) zu überstehen und trennte sich von 300 Mitarbeitern. Und Standard& Poor´s-Präsident Deven Sharma büßte die Krise mit einem Umsatzrückgang von 13 Prozent und einem Minus von 22 Prozent ein.
Der Aktienkurs der S&P-Muttergesellschaft McGraw Hill sackte im Laufe des Jahres 2008 von 45,86 auf 18,59 Dollar ab. Sharma gibt sich dennoch optimistisch: "Wir haben unsere Lektion gelernt".
WissenStandard&Poor´s (S&P) ist seit 1966 eine Tochtergesellschaft des US-Medienkonzerns McGraw-Hill. S&P publiziert über 500.000 Ratings pro Jahr. Der S&P 500-Aktienindex repräsentiert 75 Prozent der US-Börsenkapitalisierung. Das Unternehmen, dessen Hauptsitz sich in New York befindet, beschäftigt 8500 Mitarbeiter in 23 Ländern. Der Big Player im Ratinggeschäft setzte 2008 2,65 Mrd. Dollar (2,07 Mrd. Euro) um.
Moody´s Investors Service, 1975 von der amerikanischen Finanzaufsicht SEC zugelassen, beschäftigt 3900 Mitarbeiter in 64 Büros in 29 Staaten und setzte zuletzt 1,2 Mrd. Dollar (940 Mio. Euro) um. Der Umsatz der an der New Yorker Börse notierten Muttergesellschaft Moody´s Corporation sackte im Vorjahr um 22 Prozent auf 1,75 Mrd. Dollar ab, das operative Ergebnis sogar um 34 Prozent auf 748 Mio. Dollar.
Fitch Ratings, die Nummer drei der Ratingagenturen, wurde 1913 gegründet und beschäftigt 2100 Mitarbeiter an 50 Standorten. Ihre Zentralen befinden sich in London und New York. Fitch bewertet 2500 Versicherungskonzerne. Die Agentur gehört seit 1997 mehrheitlich dem Finanzdienstleister Fimalac S.A. und dem Medienkonzern Hearst. Sie setzte 2008 rund 484 Mio. Dollar um hatte ein Betriebsergebnis von 178 Mio. Dollar.