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Drei Präsidenten und tausend Tote

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Ägypten fünf Jahre nach dem Ausbruch der Revolution - eine Bilanz.


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Alexandria. Omar Hazek ist übernervös. Er rutscht auf dem Stuhl hin und her, seine Augen kreisen rastlos. Der plötzliche, heftige Hustenanfall lässt nichts Gutes erahnen, die Rückenschmerzen wollen nicht weichen. Zwei Jahre Haft im ägyptischen Gefängnis haben Spuren hinterlassen bei dem 36-jährigen Schriftsteller.

In dem Café an der Uferpromenade in der Mittelmeermetropole Alexandria sind fast alle Tische belegt. Demonstrativ lehnt sich der Herr am Nebentisch mit blauer Jeans und weißem Hemd auf seinem Stuhl zurück, um das Gespräch mit dem ehemaligen Häftling besser belauschen zu können. Vor ihm liegt lediglich ein Handy. Ansonsten ist der Tisch leer. Omar Hazek trinkt Wasser. Kaffee oder Tee würden ihn noch nervöser machen, sagt er zur Begründung.

Vor wenigen Tagen ist der Prosaist und Lyriker an der Ausreise aus Ägypten am Flughafen in Kairo gehindert worden. Er wollte nach Europa reisen, in Holland den Oxfam-Literaturpreis entgegennehmen, danach Wien besuchen. Hazek ist Ehrenmitglied des österreichischen PEN-Clubs. Doch seine Reise passte nicht ins Konzept des ägyptischen Regimes, das seit dem Beginn des Umbruchs jegliche Kritik erstickt. Als ein Freund klarer Worte gilt Hazek deshalb als gefährlich für das heutige Ägypten. Denn das, was er zu erzählen hat, ist das Gegenteil von dem, was Staatschef Abdul Fattah al-Sisi und seine Leute vorgeben. Es ist die Umkehrung der Revolution, die in Ägypten vor fünf Jahren, am 25. Jänner 2011, so hoffnungsvoll begann.

Weder Sicherheitnoch Demokratie

"Damals habe ich damit begonnen, Essays zu schreiben", sagt Hazek. Davor verfasste er Gedichte, beklagte die Situation der Palästinenser, sparte aber mit Kritik an Mubarak. Das änderte sich, als der Blogger Khaled Said in der Hafenstadt Alexandria im Sommer 2010 von zwei Polizisten blutig zu Tode geprügelt wurde. Die Facebook-Initiative "Wir sind alle Kahled Said" steckte auch Omar Hazek an. Fortan wurden seine Texte politischer und die Szene bewusst kritischer.

Die ersten großen Demonstrationen gegen das Mubarak-Regime begannen in Alexandria. Die Welle schwappte dann auf Kairo über. Omar war immer dabei, bloggte, schrieb, verschaffte sich und den Anliegen der jungen Kritiker Gehör bei den Medien. Er bejubelte den Abgang Mubaraks, sympathisierte mit der neu gegründeten Dustour-Partei von Ex-Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei, sah den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder zunächst als das kleinere Übel gegenüber den Altkadern des Mubarak-Regimes. "Doch die konnten nicht regieren", sagt er heute rückblickend, "die waren zu klein für Ägypten."

Nach dem Sturz des - inzwischen nicht rechtskräftig zum Tode verurteilten - Islamisten Mursi und der Wahl al-Sisis zum neuen Staatchef zählte für die Mehrheit der Ägypter nur noch eine Frage: Sicherheit oder Demokratie? Als der Feldmarschall in Zivil beides versprach, bekam er eine überwältigende Zustimmung. Doch es kam anders. Ägypten ist heute weiter von einer Demokratie entfernt als noch zu Zeiten Mubaraks, und der Terror im Land nimmt nicht ab. Drei Präsidenten und über 1000 Tote seit der Revolution im Januar 2011. Gibt es so etwas wie Reue?

"Die Natur einer Revolution ist, dass sie lange dauert und immer wieder Rückschläge aushalten muss", reflektiert Hazek die Stimmung unter denen, die ein anderes Ägypten wollen. Ein Land, in dem die Menschenrechte respektiert und die Bürger geschützt werden, in dem Meinungsfreiheit und Pressefreiheit herrscht. Denn all das wird derzeit am Nil mit Füßen getreten.

"Die Gefängnisse sind voll mit politischen Gefangenen"

Nach China hat Ägypten die zweithöchste Zahl an inhaftierten Journalisten weltweit, meldet "Reporter ohne Grenzen". Kein Land auf der Welt hat so viele politische Gefangene. Zu Tausenden sitzen Muslimbrüder, deren Sympathisanten, aber zunehmend auch kritische Jugendliche, die für dieses "andere Ägypten" eintreten, im Gefängnis. Die winzige Zelle in Borg al-Arab, westlich von Alexandria in der Wüste, musste sich Omar mit vier anderen Gefangenen teilen. "Das Gefängnis ist voll mit sogenannten politischen Häftlingen", erzählt er über seine Haftzeit. "Von zehn Gefangenen sind vielleicht drei tatsächlich Muslimbrüder." Alle anderen seien Sympathisanten oder wen die Sicherheitskräfte dafür halten. Viele sind willkürlich verhaftet worden, waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Gerichtsverfahren seien Luxus.

Er selbst bekam einen Richterspruch: zwei Jahre wegen Teilnahme an einer illegalen Demonstration. Hazek und viele andere verlangten am 13. Dezember 2013 die Verurteilung der beiden Polizisten, die den Blogger Khaled Said in Alexandria drei Jahre davor zu Tode geprügelt hatten. Kurzerhand hatte Präsident al-Sisi die bis heute geltenden Anti-Demonstrationsgesetze verkündet. Mehr als 100 Polizisten verhafteten sämtliche Demonstranten, deren sie habhaft werden konnten.

Omar Hazek schrieb Briefe aus der Gefängnsizelle. Er klagte die Haftbedingungen an, wurde Zeuge von Folter und sadistischen Handlungen, von Demütigungen. "Warum sterben Häftlinge in ägyptischen Gefängnissen?", fragt er - und verstummt. Als er freikam, konnte er sich nicht wirklich darüber freuen. "Die erste Nacht in Freiheit konnte ich nicht schlafen. Ich musste immer an die vielen anderen denken, die noch immer sitzen - oft ohne Grund." Hazek ist den Tränen nah, als er das sagt. Sein sonst so jungenhaftes Gesicht ist in sekundenschnelle gealtert. Doch wie ein Blitz spricht im nächsten Moment die Hoffnung aus ihm, wenn er sagt: "In 20 Jahren sieht Ägypten anders aus." Das demokratische Bewusstsein der Menschen hier sei noch reichlich schwach, doch es wachse kontinuierlich. "Der Zorn über al-Sisi wird größer. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben." Er wünsche sich mehr Druck aus dem Ausland, vor allem aus Europa. Nur damit könne ein Korrektiv erzielt werden. Er selbst werde weiter kämpfen für eine bessere Zukunft in Ägypten. Es ist diese Ungebrochenheit von Omar Hazek, die der Regierung Angst macht. Und Omar ist mit seiner Entschlossenheit nicht alleine.