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Dreifach-Testlauf für Europas Krisenpläne

Von Hermann Sileitsch

Politik

Karlsruhe-Urteil zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM),
Barrosos Rede zu den Bankenunion-Plänen - und Wahltag in den Niederlanden.


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Brüssel/Karlsruhe. Europas Kampf gegen die Krise glich bisher dem Märchen vom Hasen und Igel: Kaum schien politisch ein großer Wurf gelungen, schallte es von Finanzmarktseite: "Ich bin längst einen Schritt weiter!"

Der Vorwurf des katastrophalen Krisenmanagements begleitet Europas Führungskräfte somit seit gut dreieinhalb Jahren - sie hätten stets zu spät und zu zögerlich reagiert. Dadurch entstand der Eindruck, dass Europa von den Finanzmärkten gehetzt wird. "Europe must get ahead of the curve": Europa müsse den Marktentwicklungen endlich voraus sein, statt ihnen nachzulaufen, forderte US-Nobelpreisträger Paul Krugman noch vor vier Monaten.

Tatsächlich besteht dazu jetzt eine realistische Chance. Europa hat nach Jahren des Zögerns und Zauderns zu einer plausiblen Strategie gefunden. Dafür müssen aber drei Räder ineinandergreifen.

Um zu verhindern, dass Eurostaaten durch Attacken aus dem Finanzmarkt katapultiert werden können, braucht es flexible und schlagkräftige Kriseninstrumente. Solange gewährleistet ist, dass jedes Euroland seine Schulden zurückzahlen kann, ist es nämlich sinnlos, auf eine Pleite oder den Zusammenbruch der Währungsunion zu spekulieren. Zusammengenommen sind der künftige Eurorettungsschirm ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) und die in der Vorwoche angekündigten unbegrenzten Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) geeignet, jegliche Zweifel auszuräumen.

Neben den Akutmaßnahmen muss die Eurozone im Schnellverfahren ihre Konstruktionsmängel beseitigen. Dafür braucht es ein enger kooperierendes Europa, in dem die Währungsunion um eine echte Wirtschaftsunion ergänzt wird. Das ist zwar ein Langzeitprojekt, könnte aber schon heute dazu beitragen, skeptische Anleger vom Fortbestand des Euro zu überzeugen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wird deshalb am heutigen Mittwoch in Straßburg in seiner "Rede zur Lage der Union" möglichst konkrete Schritte skizzieren, wie dieses Haus Europa auf einem stabileren Fundament neu errichtet werden soll. Erstes greifbares Resultat dieser Vision soll die Bankenunion sein: Barroso hat sich ausbedungen, diese Pläne selbst zu präsentieren, statt seinen zuständigen Kommissar Michel Barnier vorzuschicken.

Die Staaten müssen jeder für sich ihre Abhängigkeit vom Kapitalmarkt reduzieren. Das setzt voraus, dass sie ihre Budgets in Ordnung bringen. Der Fiskalpakt - ein völkerrechtlicher Vertrag, den außer den Tschechen und Briten alle EU-Staaten begleitend zum ESM unterschrieben haben - soll diesem Bestreben Glaubwürdigkeit verleihen.

Viele Stolperfallen warten

So sieht Europas Weg aus der Krise aus - theoretisch. Denn in der Realität lauern etliche Stolperfallen - drei schon am heutigen Mittwoch. Die unmittelbarste Bedrohung sitzt in Karlsruhe: Alle Länder haben den ESM-Vertrag ratifiziert - außer Deutschland, das das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abwarten muss. Dass die Richter den ESM rundweg ablehnen, gilt als unwahrscheinlich. Aber sie könnten allerlei Einschränkungen definieren, die dessen Wirksamkeit infrage stellen könnten. Schließlich hat die EZB ihre Anleihenkäufe mit den Rettungsschirmen verknüpft.

Mit Spannung wird erwartet, ob die Richter ein Signal abgeben, wie ihre Judikatur der geplanten europäischen Integration gegenübersteht. Experten sind sich nämlich einig, dass irgendwann der Punkt erreicht wird, wo diese an die Grenzen des deutschen Grundgesetzes stößt. Dann müssen die Bürger in einem Referendum über eine neue Verfassung abstimmen. Die Frage ist, wann.

Ein großes Fragezeichen steht auch hinter Barrosos Visionen für den Neubau Europas: Die Pläne für eine mächtige europaweite Bankenaufsicht, die bei der EZB angesiedelt sein soll, sind nur ein erster Schritt in Richtung Bankenunion. Schon dieser stößt allerdings auf heftige nationale Widerstände. Vor einer Fiskalunion mit gemeinsamer Schuldenhaftung, wie sie für eine echte Wirtschaftsunion angedacht wird, stünden ungleich größere Hürden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass in den Niederlanden Europaskeptiker ans Ruder kommen, ist zwar - glaubt man Umfragen - gesunken. Aber jeder Urnengang birgt das Risiko, dass eine neue Regierung den Europakurs verlässt.

Und nicht zuletzt bleibt die Konjunktur ein großes Fragezeichen: Versinkt die Eurozone noch tiefer in der Rezession, werden alle Defizitziele obsolet. Und gelingt es nicht bald, der Arbeitslosigkeit Einhalt zu gebieten, drohen die Menschen ihr Interesse am Projekt Europa zu verlieren.


Am Rande: Der theoretische Weg von Karlsruhe nach Klagenfurt
(kats) Manchmal, aber nur manchmal, hat die hohe europäische Politik tatsächlich auch Auswirkungen auf jene in der Provinz. Und sei es nur aus vorgeschobenen Gründen.
Die Entscheidung der Karlsruher Richter könnte nämlich Auswirkungen auf den Neuwahltermin in Kärnten haben. So betont die FPK-Regierung ja stets, dass man in dem skandalgebeutelten Land erst dann vorgezogene Neuwahlen ausrufen kann, wenn die Landesregierung eine Verfassungsklage gegen den ESM eingebracht hat. Und das geht erst dann, wenn der Vertrag zum Eurorettungsschirm im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Dies wiederum ist abhängig von der Entscheidung in Karlsruhe. Denn der ESM-Vertrag ist zwar in Österreich seit Juli ratifiziert, kundgemacht werden Staatsverträge aber erst, wenn sie in Kraft getreten sind. Und laut Artikel 48 ESM-Vertrag tritt dieser erst in Kraft, wenn 90 Prozent der Zeichnungen verfügbar sind. Dies wird nur mit einem Ja aus Deutschland, das 27,15 Prozent hält, erreicht. Sollte Deutschland den Vertrag ratifizieren, stünde also einer Klage und damit Neuwahlen in Kärnten theoretisch nichts entgegen. Aber nur theoretisch.