Die komplizierte Beziehung von Bundespräsident, Nationalrat und Bundesregierung.
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Wien. Mehr als sieben Jahrzehnte lange "litt" Österreichs Politik unter etwas, das man als verfassungsrechtliche Unterforderung bezeichnen könnte. Da verfügt die Republik über eine, um den Bundespräsidenten zu zitieren, Bundesverfassung voller "Eleganz, ja Schönheit", und niemandem fällt es auf, weil die Parteien ganz gut ohne jeden Schiedsrichter auskommen. Und nichts anderes ist eine Verfassung: ein Schiedsrichter, der Verfahren regelt und Macht zuweist.
Doch dann kam die Ibiza-Affäre und stellte die Politik auf den Kopf. Plötzlich ist es wieder spannend, wie das Bundes-Verfassungsgesetz die Macht in diesem Staat verteilt: Die Kombination aus einem strikten Verhältniswahlrecht, einer von einer Mehrheit im Parlament getragenen Bundesregierung und dem direkt gewählten Bundespräsidenten hat nämlich das Potenzial, den Nervenhaushalt eines durchschnittlich geschickten Politikers an seine Grenzen zu bringen. Wie das geht, haben die turbulenten Jahre der Ersten Republik gezeigt.
Nach 1945 war von Spannung vorerst keine Rede mehr. Verantwortlich dafür waren zwei Entwicklungen: Zum einen die Etablierung einer rot-schwarzen Realverfassung, die neben, ober- und unterhalb der geschriebenen Verfassung sämtliche Machtfragen regelte; zum anderen die Reduktion des Bundespräsidenten auf die Rolle eines Staatsnotars. Dabei ist er es, der den Kanzler und - auf dessen Vorschlag - die Minister ernennt. Im Krisenfall kann er die Regierung entlassen und - auf Vorschlag ebendieser - den Nationalrat auflösen. Vor allem aber verfügt er als einziges der obersten Staatsorgane über eine direktdemokratische Legitimation.
Trotzdem haben die Amtsinhaber nach 1945 - mit der Ausnahme Thomas Klestils - den Parteien den Vortritt gelassen. Das war durchaus naheliegend angesichts meist klarer Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat. Diese Konstellation hat den Staatsrechtler Manfried Welan dazu gebracht, mit Blick auf die Amtsgewalt des Staatsoberhaupts von "unbekannten Instrumenten eines unbekannten Krisenmanagements" und somit Teil einer "Verfassungsmythologie" zu sprechen.
Präsident musste sich dem Willen des Nationalrats beugen
Von einer Staatskrise kann zwar auch jetzt keine Rede sein, aber erstmals tastet sich der Bundespräsident an die Möglichkeiten seines Amtes heran. Die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl auf Vorschlag von Bundeskanzler Sebastian Kurz war eine Premiere für die Zweite Republik, und diese nur das Vorspiel für den Sturz der ÖVP-dominierten Übergangsregierung durch den Nationalrat. Dabei hatte sich Alexander Van der Bellen wiederholt für einen Verbleib dieser Regierung bis nach den Wahlen im Herbst ausgesprochen.
Doch wünschen kann er sich viel, der Herr Bundespräsident. Denn obwohl er dagegen war, musste er dem Willen des Parlaments entsprechen. Österreichs Verfassungsgefüge lebt vom Miteinander und von wechselseitigen Abhängigkeiten. Der Präsident ernennt den Kanzler; rechtlich ist er dabei frei, faktisch auf die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse angewiesen, weil diese seine Entscheidung per Misstrauensantrag zu Fall bringen können.
Keine Gewaltentrennung,eine Gewaltenverbindung
Ist eine Regierung, getragen vom Vertrauen des Bundespräsidenten und des Nationalrats, einmal im Amt, verschiebt sich das Machtparallelogramm zugunsten der Regierung. Die Rede von der "Gewaltenteilung", wie sie für präsidiale Regierungssysteme mit ihrem Gegensatz von Präsident und Parlament typisch ist, wird unter den hiesigen Gegebenheiten eine "Gewaltenverbindung": Die Mehrheit des Nationalrats stützt die Regierung, die wiederum auf die Zusammenarbeit mit dem Bundespräsidenten angewiesen ist. Schließlich muss Letzterer Gesetze, Staatsverträge und wichtige Personalentscheidungen per Unterschrift bestätigen, bevor sie in Kraft treten können.
Bei der Bildung einer neuen Regierung geben deshalb die Parteien die Richtung vor. Vor allem die Parteichefs stehen dabei im Fokus: Als Spitzenkandidaten für den Nationalrat haben sie in der Regel für ein Amt, das Abgeordnetenmandat, kandidiert, welches sie in Wahrheit gar nicht anstreben; als Parteichefs verhandeln sie nun hinter verschlossenen Türen um einen Posten, den des Kanzlers, den eigentlich der Bundespräsident vergibt. Und anschließend darf der Nationalrat bestätigen, was längst feststeht: die Regierung.
Abweichungen vombisherigen Drehbuch
Die jetzige Situation weicht deutlich von diesem Drehbuch ab: Bis auf Kurz ist keiner der Parteichefs als Spitzen- und damit Kanzlerkandidat bei der Nationalratswahl angetreten (Peter Pilz ist längst nicht mehr Parteichef, ja nicht einmal Klubobmann); dass keiner antrat, um Abgeordneter zu werden, sondern eigentlich Kanzler oder zumindest Vizekanzler, bestätigt nun Kurz, indem er sein Mandat gar nicht erst annimmt. Er konzentriert sich darauf, wieder zu werden, was er gerade noch war: Bundeskanzler.
Und trotzdem sind es die Parteichefs, die in diesen Tagen eifrig mit dem Bundespräsidenten konferieren, um eine Ministerliste zu erstellen, die formal der Übergangskanzler vorschlägt und der Bundespräsident begutachtet und angelobt, die aber dennoch auf das Vertrauen des Nationalrats angewiesen ist.
Formal ist der Kanzler nurdie Nummer drei im Staat
Protokollarisch ist die Funktion des Bundeskanzlers nur auf Rang drei hinter dem Bundespräsidenten und dem Nationalratspräsidenten, aber politisch steht der Kanzler - ab Montag die Kanzlerin - an der Spitze. Dabei ist das Amt alles andere als leicht zu fassen. Die Verfassung ist bemüht, dem Regierungschef keine Sonderstellung zuzuweisen. Abgesehen davon, dass er den Vorsitz im Ministerrat innehat, verfügt er über die gleichen Rechte wie jeder andere Minister auch. Beschlüsse kann die Regierung zudem nur einstimmig fassen, und auch von einem Weisungsrecht des Regierungschefs ist nirgends die Rede; Minister sind ihre eigenen Herren.
Und trotzdem ist der Kanzler politisch die mächtigste Figur. Er ist es, der über das Vorschlagsrecht für die Ernennung und Entlassung der Minister und obersten Organe der Bundesverwaltung verfügt; er führt mit dem Kanzleramt jenes Ressort, das die alle Ministerien betreffenden Angelegenheiten regelt; zudem verfügt er über eine Generalkoordinationskompetenz in Sachen Regierung und Verwaltung und vertritt, zeitlich beschränkt, den Bundespräsidenten; er übermittelt die Regierungsvorlagen an den Nationalrat und anschließend die Gesetzesbeschlüsse an das Staatsoberhaupt zur Gegenzeichnung; er sorgt für die Kundmachung von Gesetzen, Staatsverträgen und Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs. Kurz gesagt: "Er ist Kanzler in einem alten Sinn, nämlich als Hüter und Garant des Rechts", wie der Verfassungsdenker Welan für normale Zeiten formuliert.
Die Kanzlerin wird ihreMachtfülle nicht ausschöpfen
Von normalen Zeiten kann in der Innenpolitik allerdings derzeit keine Rede sein. Weshalb die Übergangskanzlerin mit ihrem Übergangskabinett von all ihrer Machtfülle nur höchst defensiv Gebrauch machen wird. Bis zur Neuwahl ist die Gewaltenverbindung zwischen Parlament und Regierung sowie Bundespräsident nämlich nicht wirklich belastbar.