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In Kanada wird am 19. Oktober ein neues Parlament gewählt.
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Kopf an Kopf eifern die drei großen Parteien um die Wählergunst - das elfwöchige "horse race" hat die Kanadier zusehends ermattet, zieht sie aber weiterhin in seinen Bann. Regierende Konservative, zentristische Liberale und die Sozialdemokraten von der NDP wechselten sich in Umfragen im Wochentakt an der Spitze ab. Die Grünen und der - nur noch schaumgebremst separatistische - Bloc Québécois spielen eine vernachlässigbare Rolle, könnten aufgrund des Mehrheitswahlrechts überhaupt leer ausgehen.
Der konservative Premier Stephen Harper erfährt kräftigen demoskopischen Gegenwind. Doch der farblose Technokrat aus der Westprovinz Alberta, dem Texas des hohen Nordens, ist ein zäher Politveteran. Zur absoluten Mehrheit im Jahr 2011 führten ihn zwei Minderheitsregierungen. Der Weg an die Parteispitze war noch härter erkämpft: Harper war zwischenzeitlich Renegat und außerhalb des etablierten konservativen Parteienkonglomerats aktiv. Obgleich fromm, räumt er wirtschaftspolitischen Erwägungen regelmäßig den Vorzug gegenüber sozialmoralischen Vorstellungen ein, hält sich ansonsten streng an die Agenda des amerikanischen Rechtskonservativismus: unerbittlich in "law and order"-Fragen, außen- und sicherheitspolitisch im Fahrwasser der "Krieg gegen den Terror"-USA.
Die Herausforderer? Bei den vormals abgehalftert wirkenden Liberalen tritt der Sohn des früheren Langzeitpremiers Pierre Trudeau an, ein Großformat von sonnenkönigshafter Ausstrahlung. Justin Trudeau ist populär: ein Jahrhundertschwiegersohn der Kategorie KHG, aber mit mehr politischem Tiefgang. Solcher Glanz fehlt NPD-Chef Tom Mulcair. Kein automatischer Nachteil. Seine Nische: Hemdsärmeligkeit, Naturverbundenheit und Holzfäller-Vollbart, dazu inhaltlich und rhetorisch sattelfest. Ein starkes, vielleicht einen Tick zu biederes Portfolio.
Ihre Unterschiedlichkeit im Auftreten haben beide bitter nötig: Liberale und Sozialdemokratien liegen in vielen Bereichen auf ähnlicher Linie, insbesondere gesellschaftspolitisch. Die spürbare Wirtschaftsabkühlung, die Kanada durch die Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen spürt, verleiht den gemeinsamen Attacken auf die Regierungspartei zusätzliches Gewicht: Harpers Kompetenzwerte in Budget- und Wirtschaftsfragen sind im Sinken begriffen, die Landeswährung hat selbst zum gescholtenen Euro deutlich abgewertet. Und seine neoliberale Steuerpolitik hält eine Mehrheit zumindest für überzogen.
Dennoch ist Harper weiter im Spiel - dank Mehrheitswahlrecht und wechselseitiger Konkurrenz von Liberalen und Sozialdemokraten. Seine Strategie ist offenkundig: Kernwähler mobilisieren, notfalls um den Preis spalterischer Rhetorik. Als er nur vordergründig beiläufig von "old stock Canadian" (vergleichbar mit "echten Österreichern") sprach, fraß sich die Provokation durch alle Medien. Bei einer relativen Mehrheit würde er den Führungsanspruch stellen. Neuwahlen wären wahrscheinlich - er stünde ohne Partner da. Könnte sich hingegen eine Oppositionspartei etwas absetzen, wäre eine tolerierte Minderheitsregierung oder eine formelle Koalition von Liberalen und Sozialdemokraten möglich.
Ein Regierungswechsel in Kanada zeichnet sich ab, aber er könnte auf Raten erfolgen.