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Ein Rückblick auf ein Experiment, das vor einhundert Jahren grandios scheiterte.
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Lincoln, die Hauptstadt des US-amerikanischen Bundesstaates Nebraska, ist alles andere als eine beeindruckende Metropole. Vor hundert Jahren wurde dort aber eine Entscheidung getroffen, die eines der größten sozialpolitischen Experimente der Geschichte in die Wege leitete. Ein Beschluss des Kongresses von Nebraska am 19. Jänner 1919 machte es nämlich möglich, die Produktion und den Verkauf von Alkohol in den gesamten Vereinigten Staaten zu verbieten. Es war der Startschuss für jene dreizehn Jahre dauernde Ära, die als Prohibition bezeichnet wird.
Wie kam es zu diesem radikalen Vorhaben? Der Umgang mit Alkohol war in den Vereinigten Staaten stets sehr kontrovers und spaltete das Land entlang verschiedener Trennlinien. In geografischer Hinsicht waren es die dünn besiedelten ländlichen Gebiete im Westen und Süden, die sich für ein Verbot aussprachen, während die städtisch geprägten Regionen im Osten des Landes eine entspanntere Haltung gegenüber dem Alkohol einnahmen. Unter den religiösen Gruppierungen machten vor allem evangelikale Kirchen mobil und verteufelten den Alkohol, Lutheraner und Katholiken hielten ihn hingegen für eine Gabe Gottes.
Moderne Kampagnen
Und auch ethnische Bruchlinien machten sich bemerkbar. So war etwa ein Großteil der Bierbrauereien im Eigentum deutschstämmiger Amerikaner. Sie waren natürlich an einem guten Gang ihrer Geschäfte interessiert und überzogen das ganze Land mit Biergärten nach bayerischem Vorbild, um ihre Produkte an den Mann zu bringen. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verloren diese Produzenten und ihr Bier allerdings viele Sympathien in der US-Bevölkerung. Aber nicht nur für die Brauer änderte sich nach dem Eintritt der USA in den Krieg im Jahr 1917 vieles. Um die Lebensmittelvorräte zu sichern, verbot die Regierung, aus Getreide Alkohol zu destillieren, und der Nachschub des beliebten Whiskeys begann zu stocken.
Zahlreiche Organisationen führten den Kampf gegen den Teufel Alkohol, allen voran die damals größte Frauenorganisation der Welt, die Woman’s Christian Temperance Union, sowie die Anti-Saloon League, die mit ihren beträchtlichen Finanzen ihr gewogene Politiker unterstützte. Die Anhänger der Prohibition führten ihre Kampagnen mit modernen Mitteln und nutzten die aufkommenden Massenmedien, um Stimmung für ihre Sache zu machen.
Mit Erfolg: Im Dezember 1917 wurde im Kongress in Washington ein Antrag eingebracht, die Verfassung um einen Zusatz zu erweitern, durch den die Produktion und der Verkauf von "berauschenden Getränken" im ganzen Land verboten wurde. Präsident Wilson versuchte noch, dies zu verhindern, wurde aber von den Parlamentariern überstimmt. Damit das Gesetz in Kraft treten konnte, musste es noch von mindestens 36 der damals 48 Bundesstaaten ratifiziert werden. Hier schlug die Stunde von Nebraska. Als 36. Staat wurde dort am 16. Jänner 1919 die Annahme des Alkoholverbots beschlossen.
Für die Umsetzung der Prohibition war schließlich noch ein Gesetz erforderlich, das nach dem einbringenden Abgeordneten Volstead Act genannt wurde. Darin wurde festgehalten, dass in Getränken ein Alkoholgehalt von nur 0,5 Prozent toleriert sei, alles darüber hinaus wurde als "berauschend" verboten. Die Umsetzung des Verbotes sollte von der Bundesregierung in Washington gemeinsam mit den einzelnen Staaten besorgt werden. Wie sich herausstellte, war diese Methode aber alles andere als zielführend.
1500 Beamte wurden von der Regierung in Washington beauftragt, den Kampf gegen den Alkohol aufzunehmen. Es waren bei weitem zu wenige, um das enorme Gebiet der Vereinigten Staaten überwachen zu können. Die Überwachung der langen Außengrenzen und Küsten war ein Ding der Unmöglichkeit, und immer wiederkehrende Fälle von Korruption trugen dazu bei, dass diese Truppe in der Öffentlichkeit keinen guten Ruf genoss. Die Bundesstaaten trugen nur wenig zur Umsetzung des von ihnen mitbeschlossenen Verbots bei, weil sie den Einsatz der Beamten aus Washington als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten sahen.
Die Prohibition veränderte die Trinkgewohnheiten der Amerikaner tiefgreifend. Bier heimlich zu brauen rentierte sich kaum, zu groß war der Aufwand - und zu gering der Gewinn, der damit gemacht werden konnte. Mit harten Getränken lief das Geschäft viel besser: Das Destillieren konnte unauffälliger erledigt werden, der erzielte Alkoholgehalt war weit höher als bei Wein und Bier, deswegen konnten auf dem Schwarzmarkt höhere Preise verlangt werden. Moonshine wurde dieser illegale hochprozentige Alkohol genannt, und in weiten Teilen der USA wuchs seine Produktion zu einer regelrechten Industrie.
Die Prohibition hatte aber noch einen weiteren und nicht erwarteten Effekt: Die männlich dominierte Kultur des Saloons wurde durch sie beendet. Das Trinken von Alkohol verlagerte sich von der öffentlichen in die private Sphäre, und hier konnten auch Frauen zu einem Gläschen greifen, was bis dahin verpönt gewesen war.
Teure Räusche
Bis heute gibt es unterschiedliche Ansichten, ob die Prohibition ein Erfolg war und ob man aus den damaligen Erfahrungen Schlüsse auf weitere Verbote, etwa bestimmter Drogen oder von Waffen, ziehen kann. Unumstritten ist, dass dieser radikale Schritt beachtliche gesundheitspolitische Erfolge mit sich brachte: Die Fälle von Leberzirrhose gingen massiv zurück, ebenso die Einweisungen in Entwöhnungsanstalten.
Das Alkoholverbot hatte aber auch andere, weit weniger erfreuliche Folgen. So führte es zu einem Erstarken der organisierten Kriminalität. Al Capone in Chicago, Meyer Lansky in New York und ihre Konsorten in anderen Großstädten sicherten sich ein Monopol im Handel von Alkohol und verteidigten dieses in Bandenkriegen. Tausende von illegalen Bars, die berüchtigten und unter der Kontrolle der Mafia stehenden Speakeasies, brachten den illegal produzierten Stoff unter die Leute. Der Alkohol wurde zu weit überzogenen Preisen verkauft, und so wurde es schließlich zu einer Art Statussymbol, sich betrunken zu zeigen - nur wer genug Geld hatte, konnte sich einen merkbaren Rausch leisten.
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Doch auch für die weniger finanzkräftige Klientel gab es Wege, das Verbot zu umgehen und zu Alkohol zu kommen. Die amerikanischen Obstbauern spezialisierten sich zunehmend auf Weintrauben, denn deren Saft war nicht vom Verkaufsverbot betroffen. Die Verkäufe vervielfachten sich in kurzer Zeit, und die Verpackungen des Saftes wurden mit Warnhinweisen versehen, wie die Gärung zu verhindern sei - diese Warnung vor dem Verderben war für so manchen eine Anleitung, um zu günstigem Wein zu kommen.
Und weitere Wege zur Umgehung des Verbots eröffneten sich: Der Verkauf von Alkohol aus medizinischen Gründen war weiterhin erlaubt, Wein durfte für religiöse Feiern verwendet werden, und immer wieder fanden Produkte für diese hehren Zwecke ihren Weg auf den Schwarzmarkt. Auch Bier mit einem Alkoholgehalt von unter 0,5 Prozent durfte verkauft werden, ihm wurde durch stundenlanges Köcheln der Alkohol (und nach zeitgenössischen Quellen auch der Geschmack) entzogen.
Nach der Kontrolle durch staatliche Prüfer wurde dieses Gebräu vor dem Verkauf mit Industriealkohol wieder auf die gewünschte Stärke gebracht. Schließlich profitierten auch die Brennereien in Kanada und Mexiko vom Alkoholverbot in den Vereinigten Staaten, denn mit Schmuggelware stellten sie in den Gebieten an der Grenze die Versorgung sicher.
Die ursprünglich positive Einstellung der Bevölkerung zur Prohibition änderte sich im Lauf der Jahre, immer zahlreicher wurden jene Amerikaner, die das Alkoholverbot als Einschränkung der persönlichen Freiheit empfanden. Alkohol zu trinken wurde unter Jugendlichen zu einem Akt der Rebellion gegen Eltern und Staat.
Einmalige Aufhebung
Auch der immer größer werdende Einfluss der organisierten Kriminalität trug zur Ablehnung des Verbots bei, und Ereignisse wie das berüchtigte Massaker am Valentinstag des Jahres 1929, bei dem konkurrierende Clans in Chicago ihren Konflikt extrem blutig austrugen, machten klar, wie stark die Mafia mittlerweile durch die Prohibition geworden war.
Schließlich kam die Weltwirtschaftskrise. Immer mehr Amerikaner wurden arbeitslos, ohne Geld wurde Alkohol zu einem unleistbaren Vergnügen. Der Hass auf all jene, die sich ihren Drink noch leisten konnten, stieg - und mit ihm die soziale Spannung. Auch in der Regierung wuchs die Unzufriedenheit mit der Prohibition. Alle Gewinne der Produktion und des Handels wurden von Kriminellen abgeschöpft, während mit dem Verbot die Einnahmen aus den Steuern auf Alkohol verschwunden waren.
Die Stimmung drehte sich. Immer öfter wurde das Ende der Prohibition gefordert. 1933 genehmigte Präsident Roosevelt den Verkauf von Bier, das diesen Namen verdiente und bis zu 3,2 Prozent Alkohol enthalten durfte. Zwei Jahre später geschah etwas Einmaliges: Zum ersten und bisher einzigen Mal wurde ein Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten aufgehoben. Es handelte sich dabei um jenes achtzehnte Amendment, das die Grundlage für das Alkoholverbot war. Die Prohibition war damit Geschichte, Produktion und Verkauf von Alkohol wurden grundsätzlich wieder erlaubt. Allerdings erhielten die Bundesstaaten oder Bezirke die Möglichkeit, ihre eigenen Regeln festzulegen, und so gibt es noch heute Regionen, die je nach ihren gesetzlichen Vorschriften für den Umgang mit Alkohol als wet oder dry bezeichnet werden.
Im Rückblick wird die Prohibition unterschiedlich beurteilt. Unbestritten ist, dass sie auch noch nach ihrer Abschaffung wirkte, denn erst in den 1970ern wurde wieder so viel Alkohol konsumiert wie 1919, ein Indiz dafür, dass das Verbot in der Bevölkerung bleibende Spuren hinterlassen hatte.
Den Erfolgen (bessere Gesundheit, aber auch die höhere Produktivität der Industrie durch geringere alkoholbedingte Fehlzeiten) stehen beträchtliche Nachteile (allen voran das Erstarken der organisierten Kriminalität) gegenüber. So lässt sich bis heute darüber streiten, ob dieses "große Experiment mit einem noblen Motiv", wie es Präsident Hoover nannte, Vorbild für aktuelle politische Entscheidungen sein kann.
Christian Hütterer, geboren 1974, Studium von Politikwissenschaft und Geschichte, lebt und arbeitet in Brüssel.