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Meissner-Blau über ihre Erfahrungen als Flüchtende im Dritten Reich.
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Wien. Ex-Grünen-Chefin Freda Meissner-Blau fand schon früh ihren ganz persönlichen Zugang zur Politik. Im Alter von sechs Jahren habe sie in Linz Mitgliedern der faschistischen Heimwehr - wegen der großen Feder an den Hüten respektlos "Hahnenschwanzler" genannt - aufgelauert, mit lautem "Kikeriki" der Lächerlichkeit preisgegeben, dann sei man davongelaufen, erzählt die 84-Jährige bei einem Vortrag in der Grünen Bildungswerkstatt. Anlass für die Rückbesinnung war eine Veranstaltung zum Thema "Politische Parteien und Exil", ein Projekt der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Die Reihe will die Bedeutung von Vertreibung während der NS-Zeit für die Entwicklung und Identität der österreichischen Parteien untersuchen.
Freda Meissner-Blau erzählte in einer von Grund auf improvisierten Ansprache zum ersten Mal in der Öffentlichkeit von ihrem persönlichen Schicksal als Flüchtende im Dritten Reich. Ein geordnetes Familienleben habe sie nur kurz, bis 1938, erlebt. Ihr Vater, Ferdinand Meissner-Hohenmeiss, sei Schriftsteller und Journalist gewesen, habe sich stark für Minderheiten eingesetzt, unter anderem die Zeitschrift "Grenzbote" in Bratislava redigiert. Sein Herz habe für die unterdrückte österreichische Minderheit in Südtirol geschlagen, so Meissner-Blau. Der Vater habe es sich aber sehr schnell mit den Mächtigen verscherzt, den ungarischen Machthaber Miklós Horthy ebenso wie die Nazis gegen sich aufgebracht.
Horror in Dresden
Nach einem öffentlichen Brief an Reichstatthalter Arthur Seyß-Inquart - der einer Generalabrechnung mit dem NS-Regime gleichkam - ging Freda Meissner-Blaus Vater nach London ins Exil. Der Rest der Familie befand sich schutzlos in der damaligen Ostmark, "was mein Vater vergessen hat", so die Grande Dame der Grünen. "Wir waren gerade am Weißensee, als die SS kam", erinnert sie sich, für die Mutter sei eine Welt zusammengebrochen. "Wir sind sofort zurück nach Wien", die Wohnung in der Argentinierstraße im 4. Bezirk habe man "völlig devastiert" vorgefunden. Die Nazis hätten dort den Fußboden herausgerissen, als sie Beweismittel suchten.
1941/42 sei die Familie nach Nordböhmen geflohen, als die Rote Armee 1945 näher rückte, habe sie, 17-jährig, ihren Rucksack gepackt und sei abermals geflohen - gegen den Rat ihrer Mutter, wie sie erzählt. "Die hat gesagt, nur Ratten verlassen das sinkende Schiff." Freda Meissner-Blau reiste mit dem Zug in ihre Geburtsstadt Dresden und musste dort am 12., 13. und 14. Februar 1945 die Bombardierung und Auslöschung der Stadt durch die Alliierten miterleben. In Dresden habe sie die zahllosen, von Phosphorbomben verbrannten und verschrumpelten Leichen gesehen. Die schrecklichen Erlebnisse "haben mein Leben geprägt", so Freda Meissner-Blau. Noch heute sei nicht geklärt, ob bei der Bombardierung und den Feuerstürmen 35.000 oder 150.000 Menschen ums Leben gekommen seien. "Die Stadt war voll von Flüchtlingen, viele sind in ihren Zelten verbrannt", so Meissner-Blau. "Für mich war klar: So etwas darf nie wieder geschehen." Hier seien die Wurzeln für ihre Friedensarbeit zu suchen, etwa der Protest gegen die Stationierung von Pershing-Atomraketen in Deutschland in den 1980er Jahren.
Schließlich habe sie - vermutlich mit der Hilfe des Roten Kreuzes - Kontakt zu ihrem Vater herstellen können, sie bekam ein Ticket und fuhr nach England. "Österreicher waren dort knapp nach Kriegsende ex-enemies und die meisten Möglichkeiten blieben uns verschlossen", erzählt die Ex-Grünen-Chefin. "Man konnte nur Dienstmädchen oder Krankenschwester werden." Sie selbst habe sich für Krankenschwester entschieden, nach zweimal drei Monaten sei damit aber Schluss gewesen. Das Schicksal, dem Asylwerber heute in Österreich ausgesetzt sind, habe sie in gewisser Weise am eigenen Leib erfahren, so Meissner-Blau. Sie sei aber kein Einzelfall gewesen, habe ihr Schicksal als Flüchtling mit Hunderttausenden geteilt, und: "Wegen meiner Jugend und meiner Sprachkenntnisse kam ich mir sogar privilegiert vor", so die Politikerin.