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Dribbling ins finanzielle Abseits

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Vereine stehen mit 18 Milliarden Euro in der Kreide. | Bei Star-Transfers rollen zig Millionen. | Der eine oder andere Klub-Boss denkt vor allem ans große Abcashen. | Uefa-Präsident Michel Platini, einst selbst ein begnadeter Kicker, möchte die europäische Fußball-Branche aus ihrer langjährigen Lethargie rütteln: In dem kürzlich veröffentlichten Benchmarking-Bericht "European Club Footballing Landscape" wartete er mit dramatischen Fakten auf. Kernaussage: Wenn sich die handelnden Akteure kommerziell weiterhin selbst überdribbeln, sind in absehbarer Zeit spektakuläre Vereinspleiten unvermeidlich - vor allem in Spanien, Italien und Großbritannien.


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Die 732 Klubs, die in Europas Top-Ligen um Punkte kämpfen, geben jährlich mehr als 12 Milliarden Euro aus. Die Aufwendungen steigen dabei fast durchwegs stärker an als die Erträge - die Folgen sind fatal. Jeder zweite Profi-Klub ist nicht mehr in der Lage, die Kosten zu decken; jeder dritte Verein weist ein negatives Eigenkapital aus. Jeder vierte schreibt sogar erhebliche Verluste, nämlich mehr als ein Fünftel der Erträge.

Obwohl die TV-Anstalten für Übertragungen tendenziell immer mehr zahlen müssen, was für etwas mehr als Drittel der Gesamtumsätze sorgt, und die Sponsoring- und Werbeerlöse, die 25 Prozent vom Kuchen stellen, gleichfalls zunehmen, befinden sich viele Teams in einer prekären finanziellen Lage. Denn die 60 beliebtesten - teilweise auch erfolgreichsten - Spitzen-Mannschaften sahnen fast 90 Prozent der TV-Einnahmen, 70 Prozent der Eintrittsgelder und 60 Prozent der Sponsorzahlungen ab und lassen kleineren Klubs, die ordentlich wirtschaften wollen, wenig Chancen.

Allerdings: Die Top-Klubs, allen voran Real Madrid, der FC Barcelona und einige britische Vereine, schießen sich in kommerzieller Hinsicht ein Eigentor nach dem anderen. Sie geben für populäre Ballkünstler, die vorwiegend aus Argentinien, Brasilien, Afrika oder Osteuropa importiert werden, locker zig Millionen Euro aus. Rekordhalter ist der portugiesische Stürmer Cristiano Ronaldo: Bei seinem Transfer von Manchester United zu Real Madrid sind sogar 94 Millionen Ablöse geflossen.

Der Lockruf des leicht verdienten Geldes

Die irre Lizitation bei Spielerkäufen, die bei den Stargagen ihre Fortsetzung findet - Zlatan Ibrahimovic vom AC Milan beispiels-weise kommt auf ein Jahressalär von neun Millionen -, muss notgedrungen ins Out führen: Denn würde es sich um "normale" Unternehmen handeln, stellten die Unternehmensberater von A.T. Kearney in einer Analyse des Fußballmarkts unlängst fest, dann bliebe ihnen aufgrund enormer Rentabilitätslücken in den nächsten zwei Jahren der Bankrott kaum erspart.

Zum Glück für die Vereine scheint die populärste Sportart der Welt jedoch anders zu funktionieren: Sie wird das finanzielle Schlamassel wohl überleben, weil sie sich - abgesehen von 250 Millionen europäischen Fußball-Fans, der enthusiasmierten Medienindustrie und spendablen Sponsoren aus der Wirtschaft - auf finanzstarke, geduldige Vereinsinhaber verlassen kann. Red Bull-Boss Dietrich Mateschitz, der bereits 250 Millionen allein in die Salzburger Truppe gebuttert hat, zählt ebenso zu den Gönnern wie die Industriellenfamilie Agnelli, die Fiat besitzt und zusammen mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi Juventus Turin sponsert, oder der reichste Ukrainer, Rinat Achmetow, der für Schachtar Donezk gerade ein neues Stadion finanziert.

Die Top-Vereine in Großbritannien gehören fast durchwegs steinreichen Investoren. Als Erster hatte der Besitzer des Kaufhauses Harrods, Mohamed Al-Fayed, dessen Sohn Dodi mit Prinzessin Diana tödlich verunglückt war, Aufsehen erregt, als er den FC Fulham übernahm. 2003 stieg der Exil-Russe Roman Abramowitsch beim FC Chelsea ein. Zwei Jahre später brachte der 82-jährige US-Milliardär Malcolm Glazer Manchester United in seinen Besitz. Im Februar 2007 kauften sich die beiden amerikanischen Geschäftsleute George Gillett und Tom Hicks den FC Liverpool. Vor zwei Jahren wiederum sicherte sich Scheich Mansour Bin Zayed Al Nahyan um 500 Millionen Euro Manchester City.

Rund eine Milliardefür Italiens Kicker

In ihrer Studie deckte die Uefa auf, dass die britischen Vereine der Premier League mit insgesamt vier Milliarden Euro verschuldet sind. Die Spanier folgen mit etwas mehr als drei Milliarden an Verbindlichkeiten auf Platz zwei. Die italienischen Klubs der höchsten Spielklasse (Serie A) wiederum stehen mit fast zwei Milliarden in der Kreide. Was dabei auffällt: Ausgerechnet die prominentesten Teams haben die größten kommerziellen Probleme.

Manchester United etwa hat mit 856 Millionen Euro den höchsten Schuldenberg angehäuft: ManU-Inhaber Malcolm Glazer hatte die "Red Devils" 2005 auf Pump erworben, seine Söhne an die Vereinsspitze gesetzt und den Milliarden-Kredit sodann auf den Verein überschrieben - die Anhänger hassen ihn deshalb wie die Pest. Der 18-malige englische Fußball-Meister schrieb allerdings in der letzten Saison grellrote Zahlen. Trotz Rekordumsatz von rund 330 Millionen Euro musste er aufgrund der hohen Zinsrückzahlungen ein dickes Minus von 96 Millionen ausweisen. Die laut "Forbes" mit 1,3 Milliarden Euro weltweit wertvollste Kicker-Marke ist zugleich der höchstverschuldete Klub der Welt (siehe Tabellen).

Die Schulden der spanischen Star-Truppen sind ebenfalls beachtlich: Der FC Barcelona, neben Real Madrid und Athletic Bilbao einer der wenigen Klubs im Besitz seiner Mitglieder, steht zwar immer noch besser da als der FC Valencia und Real, aber mit 452 Millionen tief in der Kreide. Bei einer Bilanzprüfung kam unlängst zu Tage, dass die Spielsaison 2009/10 nach Steuern ein Minus von 77,1 Millionen Euro brachte - der erste Verlust nach sieben Jahren mit schwarzen Zahlen. Die Klubleitung musste daraufhin blitzartig einen Kredit in Höhe von 155 Millionen Euro aufnehmen, um zum Beispiel die exorbitanten Gehälter der Spieler - wenn auch mit deutlicher Verspätung - überweisen zu können.

Nicht viel anders als in Spanien geht es in der italienischen Top-Liga Serie A zu: Trotz Sparprogrammen und Gagenkürzungen sind die Top-Vereine finanziell derart angeschlagen, dass sie die Gehälter permanent mit Verspätung auszahlen, was andauernd Proteste der Spieler nach sich zieht. Übrigens: Die 20 Klubs der obersten Spielklasse werden heuer laut "Gazzetta dello Sport" erstmals mehr als eine Milliarde Euro zu berappen haben - womit sich die Einkommen der Fußballer seit 2006 fast verdoppelt haben.

Meister Inter Mailand schuldet seinen Gläubigern derzeit 431 Millionen Euro, kann sich allerdings auf einen fußballbesessenen Eigentümer verlassen: Massimo Moratti, Boss der Ölgesellschaft Saras, hat seit 1995 als Inter-Präsident immerhin bereits rund 750 Millionen in sein großes Hobby investiert.

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hingegen, dem der schwer defizitäre AC Milan gehört, scheint allein nicht mehr über die Runden zu kommen. Deshalb wird seit rund einem Jahr mit dem russischen Gazprom-Konzern verhandelt, der vorerst 30 Prozent der Anteile übernehmen und den Mailändern mit 150 Millionen Euro aus der Patsche helfen soll. Der Verein hat erst kürzlich zwei Top-Kicker verpflichtet, die pro Jahr 18 Millionen Euro verdienen. Der Kaufpreis betrug 44 Millionen.

Die Russen tretenals Retter in Aktion

Auf den schwer angeschlagenen AS Roma soll es ebenfalls ein Russe abgesehen haben: Der bislang der Unternehmerfamilie Sensi gehörende Klub, der erst im Juli von der italienischen UniCredit vor der Pleite gerettete wurde, hofft auf Leonid Fedun, den Vizepräsidenten des Erdölkonzerns Lukoil. Er wird auf rund 5,5 Milliarden Euro geschätzt und sei bereit, die Aktien-Mehrheit am italienischen Topligisten zu übernehmen.

Die finanzielle Misere nicht ertragen haben auch andere, durchaus egozentrisch veranlagte Vereins-Inhaber, die die Kicker-Szene offenbar für ein Zocker-Paradies gehalten hatten: Das US-Duo George Gillett und Tom Hicks beispielsweise, das sich 2007 den FC Liverpool unter den Nagel gerissen, sodann viel versprochen, aber nichts gehalten hat, musste den 18-fachen englischen Meister Anfang Oktober notgedrungen an Landsmann John W. Henry und dessen Konsortium New England Sports Ventures um rund 350 Millionen Euro weiterreichen.

Mit den zahlreichen Unsitten in der krisengebeutelten Branche will Michel Platini nunmehr aufräumen: Der Fußball-Verband Uefa legte kürzlich unter dem Titel "Financial Fair Play" ein Regelwerk vor, das - wie es Präsident Platini formuliert - für "Stabilität und wirtschaftliche Vernunft sorgen wird". Die Klubs dürfen künftig langfristig nicht mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen. Die Ausgaben für Gehälter und Transfers sollen auf 60 bis 70 Prozent der Einnahmen beschränkt werden. Die Finanzen müssen total transparent sein, Schulden rechtzeitig zurückgezahlt werden. Wer dagegen verstößt, wird nicht mehr zu internationalen Wettbewerben zugelassen. Wirtschaftsexperten begrüßen die neuen Spielregeln der Uefa. Einziger Wermutstropfen: Sie gelten erst ab der Spielsaison 2013/14.