Präsident Kais Saied verlängert die Suspendierung des Parlaments. Der Staatschef verfügt über breite Unterstützung in der Bevölkerung.
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Tunis. Tunesiens Präsident Kais Saied hat mit einer Verordnung die Suspendierung des Parlaments verlängert. Auch die Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Abgeordneten bleibe "bis auf Weiteres" in Kraft, erklärte die Präsidentschaftskanzlei via Twitter. Saied werde sich in den nächsten Tagen an das Volk wenden, hieß es weiter.
Der Staatschef hatte vor fast einem Monat Premier Hichem Mechichi und Dutzende ranghohe Regierungsbeamte abgesetzt sowie mehrere Kritiker festnehmen oder unter Hausarrest stellen lassen. Seitdem hat er weder einen neuen Premierminister ernannt, noch einen Fahrplan für die Rückkehr zur Normalität vorgelegt.
Saied behauptet, sein Eingreifen sei nötig geworden, um das Land vor dem Zusammenbruch zu bewahren. In Tunesien, wo jahrelange Misswirtschaft, Korruption und politische Lähmung durch einen massiven Anstieg der Corona-Infektionen weiter verschlimmert wurden, stößt der Staatschef, der 2019 mit einem Erdrutschsieg ins Amt gewählt wurde, auf breite Unterstützung in der Bevölkerung. Saieds Gegner verurteilten sein Vorgehen als Staatsstreich. Der frühere Jus-Professor hält dagegen, seine Maßnahmen stünden im Einklang mit der Verfassung. Artikel 80 räumt ihm das Recht ein, bei drohender "schwerer Gefahr für Einheit, Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes" außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen.
Wirtschaftliches Desaster
Nach der mit der Aussetzung des Parlaments verbundenen Entmachtung der dieses dominierenden moderat-islamistischen Ennahda-Partei kommt es unterdessen auch innerhalb dieser zu Unstimmigkeiten. Ihr Vorsitzender Rached Ghannouchi habe nach Kritik an seinem Umgang mit der Regierungskrise den Parteivorstand entlassen, teilte Ennahda zuletzt mit. Ghannouchi wolle "die Partei so umstrukturieren, dass sie den Erfordernissen dieser Zeit Rechnung trägt", hieß es weiter.
Auch internationale Beobachter befürchten jetzt einen Rückfall des nordafrikanischen Landes in autokratische Verhältnisse. Von der Aufbruchstimmung des Arabischen Frühlings ist jedenfalls nur noch wenig zu spüren. Der Dinar befindet sich seit Jahren im freien Fall, die Staatsverschuldung beträgt inzwischen 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im vergangenen Jahr brach die Wirtschaft um mehr als acht Prozent ein - die Corona-Pandemie brachte den zentralen Tourismussektor zum Erliegen.
Neun Regierungen standen seit 2011 an der Spitze Tunesiens. Dass es keiner von ihnen gelungen ist, die Wirtschaft anzukurbeln, sorgt in dem Land für Wut - und für Zweifel an der brüchigen Demokratie.(red)